143 V 409 - Schweizerisches Bundesgericht
Karar Dilini Çevir:
Urteilskopf
143 V 409


43. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. IV-Stelle des Kantons Zürich gegen A. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)8C_841/2016 vom 30. November 2017
Regeste
Art. 4 Abs. 1 IVG in Verbindung mit Art. 6-8 ATSG (insb. Art. 7 Abs. 2 ATSG); Art. 28 Abs. 1 IVG; depressive Störungen leicht- bis mittelgradiger Natur und rentenbegründende Invalidität. Es ist sach- und systemgerecht, solche Leiden ebenfalls einem strukturierten Beweisverfahren nach BGE 141 V 281 zu unterziehen. Dieses bleibt entbehrlich, wenn im Rahmen beweiswertiger fachärztlicher Berichte (vgl. BGE 125 V 351) eine Arbeitsunfähigkeit in nachvollziehbar begründeter Weise verneint wird und allfälligen gegenteiligen Einschätzungen mangels fachärztlicher Qualifikation oder aus anderen Gründen kein Beweiswert beigemessen werden kann. Änderung der Rechtsprechung (E. 4.5).
Sachverhalt ab Seite 410
BGE 143 V 409 S. 410
A. Die 1960 geborene A. arbeitete ab 1. Oktober 1998 im Umfang von 70 % als Kreditorenbuchhalterin bei der B. AG. Am 8. März 2015 meldete sie sich wegen eines Burnouts bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Vom 15. Januar bis 28. März 2015 liess A. eine diagnostizierte mittelgradige depressive Episode mit somatischen Symptomen (ICD-10 F32.1) sowie ein Erschöpfungssyndrom (ICD-10 Z73.0) stationär in der Klinik C. behandeln. Die nachfolgend konsultierte Psychiaterin Frau Dr. med. D. attestierte eine vollständige Arbeitsunfähigkeit bei gleicher diagnostischer Einschätzung. Mit der Begründung, es liege kein invalidenversicherungsrechtlich relevanter Gesundheitsschaden vor, der die Arbeitsfähigkeit dauerhaft einschränke, wies die IV-Stelle des Kantons Zürich das Leistungsbegehren ab (Verfügung vom 17. November 2015).
B. A. erhob dagegen Beschwerde beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und reichte ein durch ihren Krankentaggeldversicherer veranlasstes psychiatrisches Gutachten des Dr. med. E., Chefarzt Klinik F., vom 29. Dezember 2015 während des Verfahrens nach. Das Gericht hiess die Beschwerde gut, hob die Verfügung vom 17. November 2015 auf und stellte fest, dass die Versicherte ab 1. November 2015 Anspruch auf eine ganze Invalidenrente habe (Entscheid vom 10. November 2016).
C. Die IV-Stelle führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei ihre Verfügung vom 17. November 2015 zu bestätigen. Ferner ersucht sie um Erteilung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde.A. lässt Abweisung der Beschwerde und auch des Gesuchs um aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels beantragen. Das kantonale Gericht schliesst sinngemäss auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.
D. Mit Verfügung vom 15. Februar 2017 hat der Abteilungspräsident der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt.
E. Die I. und die II. sozialrechtliche Abteilung haben zur folgenden Rechtsfrage ein Verfahren nach Art. 23 Abs. 1 BGG durchgeführt: BGE 143 V 409 S. 411 "Ist die Rechtsprechung, wonach depressive Störungen leicht- bis mittelgradiger Natur einzig dann als invalidisierende Krankheiten in Betracht fallen, wenn sie erwiesenermassen therapieresistent sind, aufzugeben?"Die beiden sozialrechtlichen Abteilungen haben die Rechtsfrage bejaht.Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1 Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie der diagnostizierten psychischen Gesundheitsstörung (mit attestierter vollständiger Arbeitsunfähigkeit bis mindestens Ende Februar 2016) invalidisierende Wirkung zuerkannte und einen Anspruch auf Invalidenrente ab 1. November 2015 bejahte. Zeitliche Grenze der richterlichen Überprüfungsbefugnis bildet dabei die am 17. November 2015 erlassene Verfügung (BGE 134 V 392 E. 6 S. 397).
2.2 Anspruch auf eine Rente haben Versicherte, wenn sie während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich mindestens 40 % arbeitsunfähig (Art. 6 ATSG) gewesen und nach Ablauf dieses Jahres zu mindestens 40 % invalid sind (Art. 28 Abs. 1 lit. b und c IVG).
3.
3.1 Das kantonale Gericht erwog, trotz frühzeitig begonnener und konsequent durchgeführter Therapie hätten die Ärzte der Versicherten übereinstimmend eine seit dem 10. November 2014 bestehende und bis mindestens Ende Februar 2016 dauernde 100%ige Arbeitsunfähigkeit attestiert. In den Akten würden sich keine Hinweise finden, die Zweifel an diesen Einschätzungen aufkommen liessen. Der Experte Dr. med. E. habe zwar eine gesundheitliche Besserung seit November 2015 festgestellt, dennoch aber bei Vorliegen einer Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion (ICD-10 F43.21), einer generalisierten Angststörung (ICD-10 F41.1) und einer psychophysischen Erschöpfung (ICD-10 Z73.0) eine vollständige Arbeitsunfähigkeit im Gutachtenszeitpunkt festgehalten. Aufgrund der erheblichen psychophysischen Erschöpfung habe er eine weitere stationäre psychosomatische Rehabilitation empfohlen, die die Beschwerdegegnerin in der Klinik H. vom 11. Januar bis 13. Februar 2016 absolviert habe. In Nachachtung der Rechtsprechung gemäss BGE 143 V 409 S. 412 BGE 127 V 294, wonach die Therapierbarkeit eines Leidens den Eintritt einer rentenbegründenden Invalidität nicht absolut ausschliesse, bestehe ab 1. November 2015 Anspruch auf eine ganze Invalidenrente. Mit Blick auf den Krankheitsverlauf sei die Rente allenfalls zu befristen oder zu einem späteren Zeitpunkt einer Revision zu unterziehen.
3.2 Die IV-Stelle verneint die Erheblichkeit des depressiven Leidens im invalidenversicherungsrechtlichen Sinn. Sie stellt sich auf den Standpunkt, psychische Störungen seien grundsätzlich nur dann invalidisierend, wenn sie schwer und therapeutisch nicht (mehr) angehbar seien. Bei leichten bis mittelgradigen depressiven Störungen fehle es praxisgemäss an der vorausgesetzten Schwere, seien sie rezidivierend oder episodisch. Die Versicherte habe die Klinik H. im Februar 2016 in gebessertem Zustand verlassen können; nach dem Beck-Depressions-Inventar (BDI) habe sie bei Austritt mit 14 Punkten den untersten Wert für eine leichte Depression erreicht. Gestützt auf die Ergebnisse des psychiatrischen Gutachters Dr. med. E. und der Klinik H. sei demnach nicht von einem invalidisierenden Leiden auszugehen.
4.
4.1 Die Auffassung der Beschwerde führenden IV-Stelle, dass die Folgen der vorliegenden depressiven Problematik nur bei überwiegend wahrscheinlicher Therapieresistenz invalidenversicherungsrechtlich Berücksichtigung finden, entspricht der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung. Danach fallen depressive Störungen leicht- bis mittelgradiger Natur, seien sie im Auftreten rezidivierend oder episodisch, einzig dann als invalidisierende Krankheiten in Betracht, wenn sie erwiesenermassen therapieresistent sind (BGE 140 V 193 E. 3.3 S. 197 mit Hinweis; Urteile 9C_841/2016 vom 8. Februar 2017 E. 3.1; 9C_13/2016 vom 14. April 2016 E. 4.2; 9C_539/2015 vom 21. März 2016 E. 4.1.3.1; 8C_104/2014 vom 26. Juni 2014 E. 3.3.4). Diese Praxis ist zu hinterfragen und zu prüfen, ob daran festgehalten werden kann (vgl. dazu: EVA SLAVIK, Invalidenrentenanspruch bei depressiven Erkrankungen, Jusletter vom 4. September 2017).
4.2
4.2.1 Das Bundesgericht hat wiederholt unter Hinweis auf BGE 127 V 294 E. 4c S. 298 bekräftigt, dass in der Invalidenversicherung die Therapierbarkeit eines Leidens dem Eintritt einer rentenbegründenden BGE 143 V 409 S. 413Invalidität nicht absolut entgegensteht (zuletzt etwa Urteile 8C_222/2017 vom 6. Juli 2017 E. 5.2; 9C_682/2016 vom 16. Februar 2017 E. 3.2; 8C_349/2016 vom 2. November 2015 E. 3.1). Denn die Behandelbarkeit, für sich allein betrachtet, sagt nichts über den invalidisierenden Charakter einer psychischen Störung, so auch eines depressiven Leidens, aus (vgl. auch RAHEL SAGER, Die bundesgerichtliche Rechtsprechung betreffend Depressionen, SZS 2015 S. 308 ff., 317 f. Ziff. 5.2). Aus diesem Grundsatzurteil geht weiter hervor, dass in jedem Einzelfall eine Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit unabhängig von der diagnostischen Einordnung eines Leidens und grundsätzlich unbesehen der Ätiologie ausgewiesen und in ihrem Ausmass bestimmt sein muss. Entscheidend ist die Frage, ob es der versicherten Person zumutbar ist, eine Arbeitsleistung zu erbringen, was sich nach einem weitgehend objektivierten Massstab beurteilt (BGE 127 V 294 E. 4b/cc S. 297 f. in fine; wiedergegeben in BGE 139 V 547 E. 5.2 S. 555). Die objektivierte Zum

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