BVerwG 20 F 5.18 , Beschluss vom 20. Dezember 2018 | Bundesverwaltungsgericht
Karar Dilini Çevir:
BVerwG 20 F 5.18 , Beschluss vom 20. Dezember 2018 | Bundesverwaltungsgericht
Beschluss
BVerwG 20 F 5.18 OVG Weimar - 27.06.2018 - AZ: OVG 10 SOV 459/18
In der Verwaltungsstreitsache hat der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO am 20. Dezember 2018
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer und
Prof. Dr. Burmeister
beschlossen:
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Thüringer Oberverwaltungsgerichts vom 27. Juni 2018 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Thüringer Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Beklagte. Gründe I
1 Der Kläger wendet sich gegen die Zurückweisung seines Antrags auf Durchführung eines Zwischenverfahrens.
2 1. Er begehrt in dem diesem Zwischenverfahren zugrundeliegenden Klageverfahren Auskunft über die beim Landesamt für Verfassungsschutz (Landesamt) zu seiner Person gespeicherten Daten. Zuvor hatte das Landesamt ihm mitgeteilt, dass ihm über seine dort erfassten Grunddaten hinaus keine weiteren Auskünfte erteilt werden könnten. Bei Abwägung aller Belange stünden dem Gründe nach § 17 Abs. 2 ThürVerfSchG entgegen.
3 2. Nachdem das Verwaltungsgericht um Vorlage der Akten gebeten hatte, legte der Beklagte unter dem 22. August 2017 einen teilweise geschwärzten Aktenauszug vor und erklärte, weitere Unterlagen nicht vorzulegen, weil dem Geheimhaltungsgründe nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO entgegen stünden (Sperrerklärung).
4 Ein dagegen - erstmals - geführtes Zwischenverfahren nach § 99 VwGO (Zwischenverfahren) wurde eingestellt, nachdem der Kläger seinen Antrag zurückgenommen hatte. Die Rücknahme beruhte auf dem Hinweis des Oberverwaltungsgerichts, es fehle an einem die Entscheidungserheblichkeit der Vorlage darlegenden Beweisbeschluss des Verwaltungsgerichts.
5 3. Unter dem 9. Februar 2018 stellte der Kläger erneut einen Antrag auf Durchführung eines Zwischenverfahrens.
6 Mit Beschluss vom 6. Juni 2018 legte das Verwaltungsgericht dem Oberverwaltungsgericht die Sache vor (Vorlagebeschluss). In ihm führte es im Wesentlichen aus, es sei weiterhin der Ansicht, dass es keines förmlichen Beweisbeschlusses bedürfe, mit dem die Entscheidungserheblichkeit der zurückgehaltenen Vorgänge dargelegt werde. Nach der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung liege ein Fall vor, in dem davon ausnahmsweise abgesehen werden könne. Der Kläger mache einen Auskunftsanspruch nach § 17 ThürVerfSchG geltend, der sich auf den Inhalt der geschwärzten Akten selbst richte. Es gehe nicht darum, Tatsachen außerhalb der Akten zu beweisen. Der gesamte Akteninhalt sei mithin Gegenstand der Prüfung, ob die auf § 17 Abs. 2 ThürVerfSchG gestützte Vorlageverweigerung des Beklagten gerechtfertigt sei.
7 4. Mit Beschluss vom 27. Juni 2018 lehnte das Oberverwaltungsgericht den Antrag des Klägers mit der Begründung ab, es fehle ihm am Rechtsschutzbedürfnis. Dessen Zulässigkeit setze grundsätzlich voraus, dass nach der Rechtsauffassung des Hauptsachegerichts die Kenntnis der gesperrten Unterlagen für die Hauptsacheentscheidung erforderlich sei. Das Verwaltungsgericht habe jedoch weder einen derartigen Beweisbeschluss erlassen noch sonst verdeutlicht, dass und inwiefern die gesperrten Ausführungen entscheidungserheblich seien. Es sei nicht einmal erkennbar, auf welche konkreten Vorgänge sich die Aktenanforderung beziehe. Eine entsprechende Verlautbarung sei auch nicht in dem Vorlagebeschluss zu sehen, da das Verwaltungsgericht dort lediglich seine Auffassung zur Entbehrlichkeit eines Beweisbeschlusses begründet habe.
8 Die Darlegung der Entscheidungserheblichkeit sei auch nicht deshalb entbehrlich, weil sie zweifelsfrei "auf der Hand" liege. Die im Hauptsacheverfahren aufgeworfenen Fragen ließen sich möglicherweise zumindest teilweise auch ohne Kenntnis des konkreten Akteninhalts beantworten. Gesperrte Unterlagen seien nur dann zweifelsfrei rechtserheblich, wenn die Pflicht zur Vorlage bereits Streitgegenstand des Verfahrens zur Hauptsache sei und die dortige Entscheidung von der allein anhand des konkreten Inhalts der Unterlagen zu beantwortende Frage abhänge, ob sie geheimhaltungsbedürftig seien. Würden - wie vorliegend - Geheimhaltungsgründe geltend gemacht, die sich aus dem Inhalt der Unterlagen ergäben, liege es zwar nahe, dass sich nur durch Einsichtnahme in die Unterlagen klären lasse, ob Geheimhaltungsgründe tatsächlich vorliegen würden. Doch auch in diesen Fällen führten Streitigkeiten um Informationszugangsrechte nicht ausnahmslos und automatisch zu einem Zwischenverfahren. Der Auskunftsanspruch dürfe sich vorliegend in erster Linie auf § 17 ThürVerfSchG stützen, der von vornherein insoweit gegenständlich beschränkt sei, als er sich gemäß Absatz 3 nicht auf die Herkunft von Daten und die Empfänger von Übermittlungen erstrecke. Im Übrigen hänge der Anspruch davon ab, ob die in § 17 Abs. 2 ThürVerfSchG beschriebenen Voraussetzungen vorliegen würden. Darüber, ob und in welchem Umfang der Auskunftsanspruch des Klägers dadurch eingeschränkt sei, könne bei hinreichender Substantiierung der vorenthaltenen Informationen durch den Beklagten unter Umständen auch ohne Kenntnis ihres konkreten Inhalts befunden werden. Dem Verwaltungsgericht dürfe nach Vorlage der Verwaltungsakte eine Prüfung zumindest teilweise anhand der Angaben in der Sperrerklärung des Beklagten möglich sein. Somit liege es nicht völlig fern, dass die generalisierenden Umschreibungen des Inhalts der gesperrten Aktenteile unter Einbeziehung der ungeschwärzten Ausführungen im Verwaltungsvorgang die Frage beantworteten, inwieweit die Ausschlusstatbestände nach § 17 Abs. 2 ThürVerfSchG vorliegen würden. Insofern obliege es dem Verwaltungsgericht, zunächst zu prüfen, ob und inwieweit aufgrund des offen gelegten Aktenmaterials und insbesondere auch derjenigen Ausführungen in der Sperrerklärung über das Auskunftsbegehren entschieden werden könne. In einem Beweisbeschluss sei zu erläutern, inwieweit das Verwaltungsgericht auch auf den Inhalt der geschwärzten Passagen angewiesen sei.
9 5. Der Kläger hat gegen den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts frist- und formgerecht Beschwerde eingelegt. Im Wesentlichen trägt er vor, das Oberverwaltungsgericht verkenne, dass das Verwaltungsgericht zumindest in seinem Vorlagebeschluss die Entscheidungserheblichkeit der zurückgehaltenen Verwaltungsvorgänge bejaht habe.
10 Der Beklagte tritt dem entgegen. Für ein erneutes Zwischenverfahren fehle es dem Kläger am Rechtsschutzbedürfnis, weil er bereits seinen ersten Antrag zurückgenommen habe und somit ein widersprüchliches Prozessverhalten zeige. II
11 Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Dies führt zur Aufhebung des Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberverwaltungsgericht.
12 1. Der Antrag, nach § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO festzustellen, dass die Weigerung der vollständigen (ungeschwärzten) Vorlage der Akten rechtswidrig ist, setzt voraus, dass die Entscheidungserheblichkeit der Aktenvorlage feststeht. Darüber entscheidet das Hauptsachegericht in Form eines Beweisbeschlusses oder einer vergleichbaren förmlichen Äußerung. Von dem Erfordernis einer ausdrücklichen Verlautbarung kann nur dann abgesehen werden, wenn die Pflicht zur Vorlage der zurückgehaltenen Unterlagen bereits Streitgegenstand des Hauptsacheverfahrens ist und die dortige Entscheidung von der allein anhand des Inhalts der umstrittenen Akten zu beantwortenden Frage abhängt, ob die Akten geheimhaltungsbedürftig sind. An einer Verlautbarung fehlt es, wenn die Akten gleichsam formularmäßig ohne dokumentierte rechtliche Erwägungen oder allein mit dem bloßen Hinweis auf deren Entscheidungserheblichkeit angefordert werden. Anträge nach § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO sind deshalb unzulässig, wenn angesichts einer fehlenden förmlichen Feststellung des Verwaltungsgerichts offen ist, ob die vollständige Vorlage der Unterlagen zur Entscheidung des Hauptsacheverfahrens erforderlich ist (BVerwG, Beschluss vom 9. Februar 2016 - 20 F 11.15 - juris Rn. 5 ff. und Rn. 10).
13 Anders als vom Oberverwaltungsgericht angenommen, fehlt es vorliegend nicht an einer förmlichen Verlautbarung zur Entscheidungserheblichkeit. Denn das Verwaltungsgericht hat einen Vorlagebeschluss gefasst und sich damit in einer einem Beweisbeschluss vergleichbaren Weise förmlich geäußert. In ihm hat es zwar in Abrede gestellt, einen förmlichen Beweisbeschluss fassen zu müssen, sich jedoch nicht auf diese Feststellung beschränkt. Vielmehr hat es auch zur Sache ausgeführt, dass die Vorlage der zurückgehaltenen oder geschwärzten Unterlagen aus seiner Sicht zweifelsfrei erforderlich sei. Diesen sachlichen Gehalt des Vorlagebeschlusses verkennt das Oberverwaltungsgericht, wenn es ausführt, das Verwaltungsgericht habe in dem Vorlagebeschluss "lediglich" seine gegenläufige Auffassung zur Entbehrlichkeit eines Beweisbeschlusses begründet.
14 2. Entsprechende Beweisbeschlüsse oder - wie vorliegend - vergleichbare förmliche Verlautbarungen in Form eines Vorlagebeschlusses dürfen sich jedoch grundsätzlich nicht in dieser Feststellung erschöpfen. Sie müssen zur Entscheidungserheblichkeit im konkreten Fall - sei es mit Blick auf die Zulässigkeit des Rechtsschutzbegehrens, sei es unter Darlegung der materiell-rechtlichen Voraussetzungen sowie der fachgesetzlichen Ablehnungsgründe - Stellung nehmen, um auch ordnungsgemäß zu sein (BVerwG, Beschluss vom 12. September 2017 - 20 F 11.16 - juris Rn. 7). Liegt eine entsprechende Verlautbarung des Hauptsachegerichts vor, ist der Fachsenat - vorliegend also das Oberverwaltungsgericht - daran grundsätzlich gebunden. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Rechtsauffassung des Hauptsachegerichts entweder offensichtlich fehlerhaft ist oder es nicht seiner Verpflichtung genügt, die ihm nach dem Amtsermittlungsgrundsatz zur Verfügung stehenden Mittel zur Sachverhaltsaufklärung zu erschöpfen, um auf dieser Grundlage über die Erforderlichkeit der Aktenvorlage zu entscheiden (BVerwG, Beschluss vom 15. März 2013 - 20 F 8.12 - juris Rn. 11).
15 Das Verwaltungsgericht ist diesen Anforderungen noch gerecht geworden, indem es zum einen nicht unbesehen, sondern vielmehr in Kenntnis der ihm vom Beklagten am 25. August 2017 vorgelegten Aktenbestandteile und zum anderen unter Darlegung der aus seiner Sicht maßgeblichen Anspruchsnorm des § 17 Abs. 2 ThürVerfSchG am 6. Juni 2018 ausgeführt hat, dass ihm die Kenntnisnahme des gesamten Akteninhalts erforderlich erscheint. Dass diese Annahme offensichtlich rechtsfehlerhaft ist oder unter Außerachtlassung der dem Verwaltungsgericht zur Verfügung stehenden Mittel zur Aufklärung des Sachverhalts erfolgte, ist nicht ersichtlich.
16 Daran ändert auch die Erwägung des Oberverwaltungsgerichts nichts, die Darlegung der Entscheidungserheblichkeit sei nicht deshalb entbehrlich, weil sie zweifelsfrei vorliege. Die Frage, ob die Entscheidungserheblichkeit gleichsam "auf der Hand" liegt, stellt sich nur, wenn überhaupt keine förmliche Verlautbarung des Hauptsachegerichts vorliegt. Sie zielt in diesen Fallkonstellationen darauf ab, diese formale Hürde unter eng begrenzten Voraussetzungen aus Gründen der Prozessökonomie zu überwinden (BVerwG, Beschlüsse vom 9. Februar 2016 - 20 F 11.15 - juris Rn. 10 und 5. Februar 2009 - 20 F 24.08 - juris Rn. 3). Liegt hingegen - wie vorliegend - eine entsprechende Verlautbarung vor, sind allein Zweifel des Fachsenats an der Entscheidungserheblichkeit der Aktenvorlage nicht geeignet, dessen grundsätzliche Bindung an die rechtliche Einschätzung des Hauptsachegerichts infrage zu stellen. Dies würde zu einer Umkehrung des Überprüfungsmaßstabes führen und der Zuständigkeitsverteilung zwischen Hauptsachegericht und Fachsenat widersprechen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Januar 2016 - 20 F 2.15 - NVwZ 2016, 467 Rn. 4). Weil das Hauptsachegericht über die zugrundeliegenden Auskunftsansprüche zu entscheiden hat, ist für den Umfang der Ermittlung dessen Normverständnis und dessen Einschätzung der Entscheidungserheblichkeit der geschwärzten Aktenteile maßgeblich.
17 Im vorliegenden Fall ist die Darlegung der Entscheidungserheblichkeit der sehr umfangreichen Schwärzungen noch ausreichend und damit bindend. Ein Fall der offensichtlichen Entscheidungsunerheblichkeit ist weder für alle geschwärzten Aktenteile noch für einzelne Passagen hinreichend dargetan.
18 Das Oberverwaltungsgericht hat lediglich Zweifel daran dargelegt und angenommen, die im Hauptsacheverfahren aufgeworfenen rechtserheblichen Fragen ließen sich "möglicherweise" zumindest teilweise auch ohne Kenntnis des konkreten Akteninhalts beantworten. Auch sonstige im Konjunktiv anzutreffende Ausführungen im Beschluss des Oberverwaltungsgerichts belegen lediglich Zweifel an der Richtigkeit der Einschätzung des Hauptsachgerichts und lassen ihm "denkbar" erscheinen, dass die Kenntnis des konkreten Akteninhalts entbehrlich ist. Allein aus Zweifeln dieser Art folgt jedoch noch nicht, dass dessen rechtliche Einschätzung auch offensichtlich rechtsfehlerhaft ist. Dem entspricht, dass das Oberverwaltungsgericht an anderer Stelle selbst ausführt, es "liege durchaus nahe", dass sich nur durch Einsichtnahme in die Unterlagen klären lasse, ob Geheimhaltungsgründe tatsächlich vorliegen würden. Daran ändert auch dessen Erwägung nichts, ob und in welchem Umfang der Auskunftsanspruch des Klägers eingeschränkt sei, könne bei hinreichender Substantiierung der vorenthaltenen Informationen durch den Beklagten unter Umständen auch ohne Kenntnis ihres konkreten Inhalts geklärt werden. Der Beklagte ist dazu augenscheinlich im Hinblick auf Gründe nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht bereit. Dieser Umstand ist nicht zu Lasten des Beschwerdeführers zu gewichten.
19 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

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