BVerwG 4 BN 23.17 , Beschluss vom 07. Mai 2018 | Bundesverwaltungsgericht
Beschluss
BVerwG 4 BN 23.17 VGH München - 23.02.2017 - AZ: VGH 2 N 15.1658
In der Normenkontrollsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 7. Mai 2018
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Petz und Dr. Decker
beschlossen:
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 23. Februar 2017 wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 € festgesetzt. Gründe
1 Die auf sämtliche Zulassungsgründe gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
2 Der Verwaltungsgerichtshof hat den Normenkontrollantrag der Antragstellerin aus mehreren Gründen als begründet angesehen. Zum einen leide der angegriffene Teilflächennutzungsplan "Kiesgewinnung" der Antragsgegnerin an erheblichen Abwägungsmängeln (§ 1 Abs. 7, § 214 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 BauGB). Zum anderen schaffe der Plan der privilegierten Nutzung des Kiesabbaus nicht substanziell Raum. Während sich die erste Begründung auf den Abwägungsvorgang bezieht, betrifft letztere das Abwägungsergebnis. Denn nach der Rechtsprechung des Senats stellt sich die Frage, ob durch eine Konzentrationszonenplanung für nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 BauGB privilegierte Vorhaben diesen noch substanziell Raum verschafft wird, als unterste Grenze dessen dar, was planerisch noch vertretbar ist, um einen Abwägungsergebnisfehler zu vermeiden (BVerwG, Urteil vom 18. August 2015 - 4 CN 7.14 - BVerwGE 152, 372 Rn. 10 zu einer Konzentrationszonenplanung für Windenergienutzung). Die Wahrung dieser Untergrenze ersetzt aber nicht die Abwägungsentscheidung. Denn dem zuständigen Planungsträger steht es frei, bei der Abwägung den nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 BauGB privilegierten Vorhaben nicht nur substanziell Raum zu verschaffen, sondern solche in weiterem Umfang zuzulassen (Külpmann, jurisPR-BVerwG 24/2015 Anm. 5). Von jeweils selbständigen Fehlern ist auch der Verwaltungsgerichtshof ausgegangen.
3 Ist die vorinstanzliche Entscheidung - wie hier - auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, so kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund aufgezeigt wird und vorliegt (stRspr; vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 10. Dezember 2015 - 4 B 53.15 - Rn. 2 m.w.N.). Denn ist nur bezüglich einer Begründung ein Zulassungsgrund gegeben, dann kann diese Begründung hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert (BVerwG, Beschluss vom 9. September 2009 - 4 BN 4.09 - ZfBR 2010, 67 = juris Rn. 5). Jedenfalls in Bezug auf die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, der angefochtene Teilflächennutzungsplan weise erhebliche Abwägungsmängel auf, liegt kein Zulassungsgrund vor. Es kann daher offen bleiben, ob hinsichtlich der zweiten Begründung ein Revisionszulassungsgrund dargelegt und gegeben ist.
4 1. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Die geltend gemachten Verfahrensfehler sind entweder schon nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechenden Weise dargelegt oder liegen jedenfalls nicht vor.
5 a) Der Vorwurf "aktenwidriger" Feststellungen ist unberechtigt.
6 Die Verfahrensrüge, das Gericht habe den Sachverhalt "aktenwidrig" festgestellt, betrifft den Grundsatz der freien Beweiswürdigung und das Gebot der sachgerechten Ausschöpfung des vorhandenen Prozessstoffes (§ 86 Abs. 1, § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Sie bedingt die schlüssig vorgetragene Behauptung, zwischen den in der angegriffenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Annahmen und dem insoweit unumstrittenen Akteninhalt sei ein Widerspruch gegeben (stRspr; vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 28. März 2013 - 4 B 15.12 - BauR 2013, 1248 = juris Rn. 22 m.w.N.). Dieser Widerspruch muss offensichtlich sein, so dass es einer weiteren Beweiserhebung zur Klärung des Sachverhalts nicht bedarf; der Widerspruch muss also "zweifelsfrei" sein (z.B. BVerwG, Beschluss vom 19. November 1997 - 4 B 182.97 - Buchholz 406.11 § 153 BauGB Nr. 1). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
7 (1) Die Antragsgegnerin rügt, der Verwaltungsgerichtshof habe ausgeführt, dass vorliegend offen sei, ob die Fläche (d.h. die Potenzialfläche südwestlich von G. [Konzentrationszone 2]) nicht verwertbar sei, weil der Eigentümer nicht verkaufsbereit sei; von Seiten der Beteiligten seien für dieses Argument weder positive noch negative Nachweise erbracht worden. Diese Feststellung stehe in einem eklatanten Widerspruch zum Akteninhalt. In der mündlichen Verhandlung habe der Prozessbevollmächtigte (der Antragsgegnerin) ausgeführt, dass schriftliche Äußerungen des Eigentümers dieser Flächen bezüglich einer fehlenden Verkaufsbereitschaft nicht vorlägen. Der erste Bürgermeister der Antragsgegnerin habe in der mündlichen Verhandlung ergänzend vorgetragen, dass die Gemeinde von dem betreffenden Eigentümer nach langwierigen Verhandlungen sehr wohl zwei Grundstücke habe erwerben können. Es könne also keine Rede von der fehlenden Verwertbarkeit der betreffenden Potenzialfläche sein (Beschwerdebegründung S. 43). Eine aktenwidrige Feststellung ist damit nicht dargetan. Denn der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 9. Februar 2017 lässt sich demgegenüber auch die Aussage der Antragstellerseite entnehmen, dass der Eigentümer der Potenzialflächen nicht verkaufsbereit sei. Die Frage, ob die Fläche für den Kiesabbau (nicht) zur Verfügung steht, war somit zwischen den Beteiligten umstritten. Vor diesem Hintergrund ist es nicht aktenwidrig, dass der Verwaltungsgerichtshof die Verwertbarkeit der Fläche als offen bezeichnet hat.
8 (2) Für aktenwidrig hält die Antragsgegnerin ferner die Aussage des Verwaltungsgerichtshofs, die Gemeinde habe keinerlei Ausführungen zur Wertigkeit des Landschaftsbildes gemacht, sondern lediglich angeführt, dass als problematisch die Ausweisung des Kiesabbaus innerhalb des eindeutig erkennbaren Teils der Rodungsinsel - zwischen Ortslage und Waldrand - der nach Osten hin zunehmende Konflikt mit den Belangen des Landschaftsbildes angesehen werde (UA Rn. 62). In der Planbegründung zum angefochtenen Teilflächennutzungsplan (S. 10 und S. 26) werde allerdings - so die weiteren Darlegungen der Beschwerde - ausführlich auf die besondere Wertigkeit des Landschaftsbildes verwiesen. Es könne folglich keine Rede davon sein, dass die Antragsgegnerin keinerlei Ausführungen zum Landschaftsbild und zu dessen Wertigkeit gemacht habe. Die Rüge geht an den Feststellungen des Normenkontrollgerichts vorbei. Die beanstandete Feststellung ist im Zusammenhang mit dem Einleitungssatz der entsprechenden Passage (UA Rn. 62) zu sehen, betrifft somit die Flächen südlich von G. östlich der E...straße. Nur hierauf bezieht sich die Feststellung des Verwaltungsgerichtshofs zu den fehlenden Ausführungen der Antragsgegnerin zur Wertigkeit des Landschaftsbildes. Dass sich der Planbegründung gerade diesbezüglich dem widersprechende Aussagen entnehmen lassen, legt die Beschwerde nicht dar. Die in Bezug genommenen Stellen der Planbegründung befassen sich vielmehr mit Aussagen aus dem Regionalplan der Region M. (S. 7 ff.) oder ganz allgemein mit Flächen mit besonderer Gewichtung anderer Belange (S. 25 f.). Aussagen speziell zu den Flächen südlich von G. östlich der E...straße sind der Planbegründung nicht zu entnehmen.
9 (3) Schließlich beanstandet die Antragsgegnerin, der Verwaltungsgerichtshof habe die Annahme eines Abwägungsmangels hinsichtlich der Potenzialfläche (südlich von G.) östlich der E...straße u.a. damit begründet, die Antragsgegnerin habe (nämlich beim Ausschluss dieser Fläche für die Kiesgewinnung) in keiner Weise gewürdigt, dass diese Potenzialfläche mit einem großen Anteil im regionalplanerischen Vorbehaltsgebiet liege (UA Rn. 62). Diese Feststellung stehe jedoch im Widerspruch zu den Ausführungen in der Niederschrift zur Gemeinderatssitzung von 25. Februar 2014 (S. 21, 22) und sei daher aktenwidrig. Denn hieraus ergebe sich, dass von einer fehlenden Würdigung des regionalplanerischen Vorbehaltsgebietes in Bezug auf diese Fläche keine Rede sein könne. Eine aktenwidrige Feststellung lässt sich dem schon deshalb nicht entnehmen, weil die Beschwerde die Ausführungen des Normenkontrollgerichts nur unvollständig wiedergibt. Sie lässt unberücksichtigt, dass der Verwaltungsgerichtshof die Niederschrift vom 25. Februar 2014 nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern sich auch mit den darin enthaltenen Aussagen, insbesondere dort auf S. 21 ff., auseinander gesetzt und im Folgenden seine eigenen Ausführungen relativiert hat (vgl. UA Rn. 62 S. 26). Dass er hierbei aktenwidrige Feststellungen getroffen hätte, behauptet auch die Beschwerde nicht. Beanstandet hat das Gericht letztlich, es sei nicht zu erkennen, dass die Antragsgegnerin die regionalplanerische Vorbehaltsfläche mit dem ihr tatsächlich zukommenden objektiven Gewicht in die Abwägung eingestellt habe (UA Rn. 62 S. 27). Das ist eine rechtliche Wertung und keine Sachverhaltsfeststellung.
10 b) Die Beschwerde zeigt auch nicht auf, dass der Verwaltungsgerichtshof seiner Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 VwGO) nicht nachgekommen ist.
11 Die Beschwerde macht geltend, wenn der Verwaltungsgerichtshof noch Zweifel hinsichtlich der Verfügbarkeit bzw. der Verwertbarkeit der Potenzialfläche südwestlich von G. (Konzentrationszone 2) gehabt hätte und - wie mit der Grundsatzrüge geltend gemacht - für die Antragsgegnerin diesbezüglich auch keine aktive Prüfungs-/Ermittlungspflicht bestanden habe, hätte der Verwaltungsgerichtshof, um zu seinem Ergebnis der Abwägungsdisproportionalität zu kommen, im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO weiter aufklären müssen, ob diese Potenzialflächen tatsächlich nicht für den Kiesabbau zur Verfügung stehen. Ein Aufklärungsmangel ist damit nicht dargetan.
12 Der gesamte Bereich der Tatsachenfeststellung ist ausschließlich vom materiell-rechtlichen Standpunkt des vorinstanzlichen Gerichts aus zu beurteilen, auch wenn dieser Standpunkt verfehlt sein sollte (stRspr; vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 14. Januar 1998 - 11 C 11.96 - BVerwGE 106, 115 ; Beschlüsse vom 25. Januar 2005 - 9 B 38.04 - NVwZ 2005, 447 = juris Rn. 21, vom 20. Dezember 2010 - 5 B 38.10 - juris Rn. 18 und vom 21. Juni 2017 - 4 B 48.16 - juris Rn. 11). Der Verwaltungsgerichtshof hat es - wie bereits dargelegt - als offen angesehen (UA Rn. 60), ob die Fläche südwestlich von G. (Konzentrationszone 2) wegen fehlender Verkaufsbereitsch