BUNDESFINANZHOF Urteil vom 10.8.2016, XI R 41/14
ECLI:DE:BFH:2016:U.100816.XIR41.14.0
Zur umsatzsteuerrechtlichen Behandlung der Übernahme der einem kommunalen Zweckverband obliegenden Trinkwasserversorgung gegen Weiterleitung von Zuschüssen; keine Organschaft mit Nichtunternehmer als Organträger - Kein Entgelt von dritter Seite
Leitsätze
1. Ein Unternehmer, der die einem kommunalen Zweckverband nach Landesrecht obliegende Pflicht zur Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser übernimmt und dafür einen vertraglichen Anspruch gegen den Zweckverband auf Weiterleitung von Fördermitteln erlangt, die dieser erhält, erbringt grundsätzlich eine steuerbare Leistung gegen Entgelt.
2. § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG kann nicht richtlinienkonform dahin gehend ausgelegt werden, dass auch ein Nichtunternehmer Organträger sein kann.
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sächsischen Finanzgerichts vom 2. September 2014 3 K 808/11 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand1 I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH. Sie ist in den Jahren 2001/2002 durch Ausgliederung des Wasserversorgungsbetriebs aus dem Vermögen eines "Regionalen Zweckverbandes kommunale Wasserversorgung" (im Folgenden: Zweckverband) entstanden, der sämtliche Anteile an der Klägerin hält. 2 Gegenstand des Unternehmens der Klägerin ist "die Gewinnung, Aufbereitung und Weiterverteilung von Wasser sowie alle mit der Wasserversorgung in Zusammenhang stehenden Dienstleistungen, die Ableitung und Behandlung von Abwasser sowie alle mit der Abwasserbeseitigung im Zusammenhang stehenden Dienstleistungen". Hierfür errichtet, unterhält und betreibt die Klägerin die erforderlichen Anlagen und hält das "Know-how" vor. Der Zweckverband hat das für die Erfüllung der Trinkwasserversorgung notwendige Anlagevermögen auf die Klägerin übertragen.3 Am 30. August 2001 schloss der Zweckverband mit der Klägerin einen "Versorgungsvertrag über die öffentliche Wasserversorgung im Verbandsgebiet des Regionalen Zweckverbandes kommunale Wasserversorgung" (Versorgungsvertrag) ab. 4 Der Zweckverband bedient sich nach der Präambel des Vertrages zur Erfüllung der ihm nach Landesrecht obliegenden Pflichtaufgabe "Versorgung der Bevölkerung des Verbandsgebietes mit Trinkwasser" (§ 57 des Sächsischen Wassergesetzes) der Klägerin nach Maßgabe des Versorgungsvertrages. Die Klägerin wird eine "leistungsfähige Wasserversorgung" aufbauen und betreiben. 5 Die Klägerin "verpflichtet sich" außerdem u.a. in § 1 Abs. 3 des Versorgungsvertrages zur Versorgung aller dem Anschluss- und Benutzungszwang unterliegenden Kunden mit Wasser. 6 Nach § 1 Abs. 6 des Versorgungsvertrages werden für die beiderseitige Erfüllung der Pflichten aus dem Versorgungsvertrag keine gesonderten Entgelte gewährt, es sei denn, der Versorgungsvertrag bestimmt ausdrücklich etwas anderes. Unberührt bleiben abgeschlossene oder abzuschließende Verträge zwischen den Partnern. 7 Die Klägerin erhebt für die Wasserversorgung von ihren Kunden direkte Entgelte; die Klägerin hat Anspruch auf Kostendeckung und ihr steht ein angemessener Gewinn zu (§ 3 Abs. 2 bis 4 des Versorgungsvertrages).8 Die Finanzierung aller Aufgaben nach dem Versorgungsvertrag übernimmt die Klägerin auf eigene Rechnung (§ 11 Abs. 1 des Versorgungsvertrages). Der Zweckverband und die Klägerin bemühen sich jedoch gemäß § 11 Abs. 2 des Versorgungsvertrages, alle im Zusammenhang mit der öffentlichen Wasserversorgung in Frage kommenden Zuwendungen der öffentlichen Hand zu erhalten, und unterstützen sich gegenseitig bei den Antragsverfahren; der Antrag soll jeweils von demjenigen Partner gestellt werden, der die beste Aussicht auf Bewilligung hat.9 Ist der Zweckverband Zuwendungsempfänger, so "leitet er die Mittel im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten an ... [die Klägerin] weiter" (§ 11 Abs. 3 Satz 1 des Versorgungsvertrages). 10 Die Klägerin "verpflichtet sich", die Verpflichtungen des Zweckverbandes zur Erlangung von Zuwendungen zu erfüllen (§ 11 Abs. 3 Satz 2 des Versorgungsvertrages) und die hierfür erforderlichen Mittelverwendungsnachweise zu führen (§ 11 Abs. 4 des Versorgungsvertrages). 11 Entsprechend diesen Vereinbarungen sind die Vertragsparteien auch im Streitjahr (2004) verfahren.12 Im Streitjahr erhielt die Klägerin vom Zweckverband weitergeleitete Fördergelder des Regierungspräsidiums X in Höhe von 231.223 EUR, die sie in der am 18. Mai 2005 eingereichten Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr nicht als Gegenleistung für steuerpflichtige Umsätze ansah.13 Mit Umsatzsteuerbescheid vom 15. August 2006 für das Jahr 2004 besteuerte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Klägerin insoweit erklärungsgemäß.14 Nach einer bei der Klägerin durchgeführten Außenprüfung vertrat das FA die Auffassung, die an die Klägerin weitergeleiteten Zuschüsse seien Entgelt im Rahmen eines umsatzsteuerpflichtigen Leistungsaustauschs zwischen der Klägerin als Leistender und dem Zweckverband und änderte die Umsatzsteuerfestsetzung für das Streitjahr entsprechend. Der Einspruch dagegen blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 26. April 2011).15 Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2015, 1033 veröffentlichten Urteil ab. Es vertrat die Auffassung, zwischen der Klägerin als Leistender und dem Zweckverband als Leistungsempfänger bestehe ein Leistungsaustauschverhältnis (Übernahme der Aufgabe der Wasserversorgung vom Zweckverband gegen Weiterleitung der Zuschüsse, zu der sich der Zweckverband verpflichtet habe). 16 Zwischen dem Zweckverband und der Klägerin liege keine --einen Leistungsaustausch ausschließende-- umsatzsteuerrechtliche Organschaft vor. Der Zweckverband sei bereits kein tauglicher Organträger. Der Wortlaut von § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) sehe klar vor, dass die Organgesellschaft in ein "Unternehmen des Organträgers" eingegliedert sein müsse, was die Unternehmereigenschaft des Organträgers voraussetze. Die Klägerin habe nicht dargetan, inwieweit der Zweckverband unternehmerisch tätig werde. Hierfür ergäben sich auch nach Aktenlage keinerlei Anhaltspunkte. 17 Die Leistung an den Zweckverband unterliege nicht dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Nr. 34 der Anlage 2 zum UStG, und zwar weder als Entgelt eines Dritten für eine Leistung an den Trinkwasserabnehmer noch als Teil der Wasserlieferung vergleichbar der Verlegung einer Hausanschlussleitung.18 Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts (§ 1 Abs. 1 Nr. 1, § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG). Die Übernahme einer Aufgabe sei keine umsatzsteuerbare Leistung. Sie liefere lediglich Wasser an ihre Kunden. Weitere Tätigkeiten, die als Leistungen an den Zweckverband qualifiziert werden könnten, erbringe sie nicht. Das FG spalte ihre einheitliche Leistung an ihre Kunden künstlich in zwei Leistungen auf. Der Zweckverband erhalte auch keinen Vorteil, der zu einem Verbrauch i.S. des gemeinsamen Mehrwertsteuerrechts führe. Sie sei Eigentümerin des Wasserversorgungsnetzes, das sie unterhalte. Deshalb könne in dessen Instandhaltung keine Leistung an den Zweckverband gesehen werden. Außerdem habe der Zweckverband keine eigenen Mittel aufgewendet, sondern lediglich Fördergelder weitergeleitet. Auch durch die zweckentsprechende Verwendung der Fördermittel erhalte der Zweckverband von ihr keinen verbrauchsfähigen Vorteil. Zudem habe das FG die fördermittelrechtlichen Rahmenbedingungen außer Acht gelassen. Die Weiterleitung der Fördermittel an sie erfolge überdies im Interesse der Allgemeinheit. 19 Hilfsweise bringt die Klägerin vor, auf die vom FG "unterstellte" Leistung sei jedenfalls der ermäßigte Steuersatz anwendbar. Entweder seien die Zuschüsse Entgelt von dritter Seite für die Lieferung von Wasser an die Kunden der Klägerin oder es liege eine ermäßigt zu besteuernde Hausanschlussleistung vor. 20 Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2004, zuletzt vom 6. September 2010, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26. April 2011 dahin gehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer um 31.892,83 EUR vermindert wird. 21 Das FA beantragt sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. 22 Es tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und verweist u.a. auf das von ihm dem FG vorgelegte Gutachten von Prof. Dr. Z vom 30. April 2014, das seine Auffassung bestätige.
Entscheidungsgründe 23 II. Die Revision ist unbegründet; sie ist daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). 24 Die Würdigung des FG, die Klägerin habe als Unternehmerin an den Zweckverband eine Leistung gegen Entgelt erbracht, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden (dazu 1.). Der weitergeleitete Zuschuss ist auch kein Entgelt von dritter Seite für die Lieferung von Wasser (dazu 2.). Auch hat das FG im Ergebnis zu Recht angenommen, dass die Leistung der Klägerin an den Zweckverband nicht dem ermäßigten Steuersatz unterliegt (dazu 3.). 25 1. Die Beurteilung des FG, die Klägerin habe neben den umsatzsteuerbaren und umsatzsteuerpflichtigen Wasserlieferungen an ihre Kunden (auch) an den Zweckverband als Leistungsempfänger steuerbare Umsätze gegen Entgelt ausgeführt, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. 26 a) Die Klägerin, ist nach der zutreffenden Beurteilung des FG (selbständige) Unternehmerin i.S. des § 2 Abs. 1 UStG. Sie kann nicht als Organgesellschaft zusammen mit dem Zweckverband als Organträger einen Organkreis bilden; denn der Zweckverband ist nach den tatsächlichen Feststellungen des FG kein Unternehmer. 27 aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) setzt eine Organschaft voraus, dass der Organträger eine eigenständige Unternehmenstätigkeit ausübt; die Eigenschaft als Organträger kann jeder Unternehmer ausfüllen (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 9. Oktober 2002 V R 64/99, BFHE 200, 119, BStBl II 2003, 375, unter II.2.b, Rz 25; vom 29. Oktober 2008 XI R 74/07, BFHE 223, 498, BStBl II 2009, 256, unter II.1.a, Rz 15; jeweils m.w.N.); aus dem BFH-Urteil vom 2. Dezember 2015 V R 67/14 (BFHE 251, 547, BFH/NV 2016, 511, Rz 19) ergibt sich nichts anderes. 28 bb) Diese Auffassung wird von der Literatur geteilt (vgl. Bunjes/Korn, UStG, 14. Aufl., § 2 Rz 110; Lippross, Umsatzsteuer, 23. Aufl., 2.8.3.2.3.2 a, S. 395; Meyer in Offerhaus/ Söhn/Lange, § 2 UStG Rz 67; Stadie in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 2 Rz 831; Treiber in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 2 Rz 151 f.; Müller in Weymüller, UStG, § 2 Rz 241; Sterzinger, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2014, 132). 29 cc) Soweit sich aus dem Unionsrecht etwas anderes ergeben sollte, entfaltet Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG) keine unmittelbare Wirkung und ist nicht berufbar (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union --EuGH-- Larentia + Minerva vom 16. Juli 2015 C-108/14 und C-109/14, EU:C:2015:496, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2015, 901, Rz 51). 30 Angesichts des insoweit klaren und unmissverständlichen Wortlauts des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG, dass eine Eingliederung "in das Unternehmen" des Organträgers erforderlich ist, kommt eine vom Wortlaut abweichende richtlinienkonforme Auslegung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG an dieser Stelle nicht in Betracht. Der Senat muss deshalb auch nicht entscheiden, ob er der Auffassung folgen könnte, das sich aus dem nationalen Recht ergebende Erfordernis einer (eigenen) Unternehmereigenschaft des Organträgers sei unionsrechtlich nur statthaft, wenn dies im nationalen Kontext zur Verhinderung missbräuchlicher Praktiken oder Verhaltensweisen erforderlich und geeignet sei (so BFH-Urteil in BFHE 251, 547, BFH/NV 2016, 511, Rz