BUNDESFINANZHOF Urteil vom 15.6.2016, III R 8/15
ECLI:DE:BFH:2016:U.150616.IIIR8.15.0
Anordnung einer zweiten Anschlussprüfung bei einem Mittelbetrieb - Anforderungen an die Begründung der Prüfungsanordnung - Ermessensgerechtigkeit
Leitsätze
1. Die Anordnung einer zweiten Anschlussprüfung für ein gewerbliches Einzelunternehmen, das im Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Prüfungsanordnung als Mittelbetrieb eingestuft ist, bedarf grundsätzlich keiner über § 193 Abs. 1 AO hinausgehenden Begründung.
2. Eine derartige Prüfung ist ermessensgerecht, wenn keine Anhaltspunkte für eine willkürliche oder schikanöse Belastung bestehen und sie nicht gegen das Übermaßverbot verstößt. Sie ist nicht übermäßig, wenn das Unternehmen während des vorgesehenen Prüfungszeitraumes zeitweise als Großbetrieb eingeordnet war und sich aufgrund vorliegenden Kontrollmaterials aus Sicht des FA ein Prüfungsbedarf ergibt.
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 27. März 2014 4 K 2166/13 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand1 I. Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Anordnung einer zweiten Anschlussprüfung.2 Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betreibt in mehreren Filialen einen Einzelhandel mit Waren verschiedener Art. Gemäß § 3 der Betriebsprüfungsordnung 2000 --BpO-- (BStBl I 2000, 368, zuletzt geändert BStBl I 2011, 710) war der Betrieb des Klägers zum 1. Januar 2004 als Kleinbetrieb, zum 1. Januar 2007 als Mittelbetrieb, zum 1. Januar 2010 als Großbetrieb und mit Wirkung ab dem 1. Januar 2013 wieder als Mittelbetrieb eingestuft.3 Für die Veranlagungszeiträume 2002 bis 2004 sowie für die Veranlagungszeiträume 2005 bis 2007 führte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) beim Kläger Außenprüfungen durch, die zu keinen nennenswerten Beanstandungen führten. Am 22. Januar 2013 ordnete das FA eine weitere Außenprüfung an, die sich auf die Feststellung der Einkünfte sowie die Gewerbesteuer für die Jahre 2008 bis 2011 erstrecken sollte. Auf den Einspruch des Klägers hin erließ das FA am 20. Februar 2013 eine neue Prüfungsanordnung, in der es den Prüfungszeitraum auf drei Jahre (2008 bis 2010) begrenzte. In einer Anlage zur Prüfungsanordnung forderte das FA den Kläger auf, die elektronischen Daten seines Warenwirtschaftssystems, des Kassensystems und seiner Erlöse zur Verfügung zu stellen. Dieser Aufforderung kam der Kläger nach, gleichwohl hielt er an seinem Einspruch fest.4 Mit Einspruchsentscheidung vom 30. April 2013 wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung verwies es darauf, dass es sich bei der Anordnung einer routinemäßigen Außenprüfung nach § 193 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) um eine Ermessenentscheidung handele, die mit der Angabe der Rechtsgrundlage hinreichend begründet sei. Dies gelte auch im Falle einer Anschlussprüfung, die nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 28. September 2011 VIII R 8/09 (BFHE 235, 298, BStBl II 2012, 395) weder ein zu erwartendes Mehrergebnis noch relevante Prüfungsfeststellungen in den vorangegangenen Prüfungen voraussetze. Da die Anordnung einer Außenprüfung einen erheblichen Eingriff in die Sphäre des Steuerpflichtigen darstelle, dürfe das Auswahlermessen des FA nicht auf sachfremden Erwägungen beruhen oder sich als willkürlich oder schikanös darstellen. Das sei jedoch unstreitig nicht der Fall. Das FA habe sich auch durch den Wechsel der Größenklasse vom Groß- zum Mittelbetrieb zum 1. Januar 2013 zur Prüfung veranlasst gesehen.5 Der Kläger erhob daraufhin Klage. Während des Klageverfahrens übersandte das FA dem Finanzgericht (FG) Auszüge aus ihm vorliegenden Kontrollmaterial. Auf einen rechtlichen Hinweis des FG, dass zweifelhaft sei, ob die Prüfungsanordnung vom 20. Februar 2013 ausreichend begründet sei, erließ das FA während des Klageverfahrens am 13. März 2014 eine neue Prüfungsanordnung, die wiederum auf § 193 Abs. 1 AO gestützt war. Sie ergehe aufgrund einer Ermessensentscheidung, bei der das Kontrollmaterial von ausschlaggebender Bedeutung sei, da es den Schluss zulasse, dass im Prüfungszeitraum nicht alle Geschäftsvorfälle zutreffend erfasst worden seien. Es sei daher notwendig, eine zweite Anschlussprüfung durchzuführen, obgleich die letzte Betriebsprüfung nicht zu nennenswerten Beanstandungen geführt habe.6 Mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2015, 879 veröffentlichten Urteil vom 27. März 2014 4 K 2166/13 gab das FG der Klage statt und hob die Prüfungsanordnung vom 13. März 2014 auf. Zur Begründung führte es aus, das Kontrollmaterial indiziere zumindest für das Jahr 2008 einen Prüfungsbedarf. Die Prüfungsanordnung leide aber an einem Begründungsmangel i.S. des § 121 Abs. 1 AO, da sie keine sachgerechte Ermessensausübung erkennen lasse. Es sei nicht auszuschließen, dass zumindest eine Plausibilitätsprüfung durch Abgleich des Kontrollmaterials mit der bereits vorgelegten elektronischen Buchführung möglich und die Prüfungsanordnung daher unverhältnismäßig sei. Zudem sei nicht auszuschließen, dass der Anfangsverdacht einer Steuerstraftat gegen den Kläger bestehe und daher mit der Prüfungsanordnung § 393 Abs. 1, § 397 Abs. 3 AO, der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit sowie die aufgrund der Selbstbindung der Verwaltung zu beachtenden Vorgaben des § 10 BpO unterlaufen werden sollten.7 Gegen das Urteil wendet sich das FA mit der Revision. Es rügt die Verletzung formellen und materiellen Bundesrechts.8 Das FA beantragt,
das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.9 Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.10 Er verteidigt das FG-Urteil und verweist hinsichtlich der Begründungspflicht für Prüfungsanordnungen auf das BFH-Urteil vom 16. November 1989 IV R 29/89 (BFHE 159, 28, BStBl II 1990, 272). Das dem FA vorliegende Kontrollmaterial und die Angebote, zu denen keine Rechnungen vorlägen, erlaubten nicht den Schluss, dass Geschäftsvorfälle nicht zutreffend erfasst worden seien.
Entscheidungsgründe11 II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).12 A. Gegenstand des Verfahrens ist die Prüfungsanordnung vom 13. März 2014.13 Wird der angefochtene Verwaltungsakt nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung geändert oder ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt nach § 68 Satz 1 FGO Gegenstand des Verfahrens. Dies gilt auch bei Ermessensentscheidungen (BFH-Urteile vom 16. Dezember 2008 I R 29/08, BFHE 224, 195, BStBl II 2009, 539, unter II.2.d; vom 15. Mai 2013 VI R 28/12, BFHE 241, 200, BStBl II 2013, 737, Rz 11; vom 26. Juni 2014 IV R 17/14, BFH/NV 2014, 1507, Rz 20 ff.; Lange in Hübschmann/Hepp/ Spitaler --HHSp-- § 102 FGO Rz 63; Schallmoser in HHSp, § 68 FGO Rz 16).14 B. Die Prüfungsanordnung vom 13. März 2014 ist rechtmäßig.15 Ob und i