BUNDESFINANZHOF Urteil vom 21.1.2015, XI R 5/13
Innergemeinschaftliche Lieferung verbrauchsteuerpflichtiger Waren
Leitsätze
1. Ob der innergemeinschaftliche Erwerb verbrauchsteuerpflichtiger Waren durch den Abnehmer im Bestimmungsmitgliedstaat den Vorschriften über die Umsatzbesteuerung unterliegt, ist grundsätzlich nach Unionsrecht zu beurteilen.
2. Eine Lieferung verbrauchsteuerpflichtiger Waren durch einen im Inland ansässigen Unternehmer an einen in einem Drittland ansässigen Unternehmer, der keine USt-IdNr. verwendet, kann als innergemeinschaftliche Lieferung steuerfrei sein, wenn der Lieferer redlicherweise, und nachdem er alle ihm zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, diese USt-IdNr. nicht mitteilen kann und er außerdem Angaben macht, die hinreichend belegen können, dass der Erwerber ein Steuerpflichtiger ist, der bei dem betreffenden Vorgang als solcher gehandelt hat.
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Finanzgerichts München vom 18. Dezember 2012 2 K 2283/10 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht München zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.
Tatbestand1 I. Die Beteiligten streiten darüber, ob Lieferungen von Wein in das Vereinigte Königreich (UK) umsatzsteuerfrei sind.2 Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt einen Groß- und Einzelhandel mit hochwertigen Weinen.3 In ihrer Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2003 (Streitjahr) vom 17. Januar 2005 behandelte die Klägerin u.a. Zahlungen auf sieben Rechnungen über Weinlieferungen an den F-Fonds, UK, als Anzahlungen auf steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen. In den Rechnungen wird jeweils auf die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen hingewiesen. Ferner ist die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (USt-IdNr.) der C genannt, die im UK ein Verbrauchsteuerlager unterhielt und bei der der F-Fonds über ein Verbrauchsteuerlagerkonto verfügte.4 Der F-Fonds war eine nach dem Recht der Cayman Islands gegründete und in das dortige Handelsregister eingetragene GmbH. Gegenstand des Fonds war die Geldanlage in hochwertige Weine.5 Die in Rechnung gestellten Beträge gingen bei der Klägerin noch im Streitjahr 2003 ein.6 Die Lieferung der Weine in das Verbrauchsteuerlager der C im UK erfolgte im März 2004; dazu sind neben den Rechnungen ein CMR-Frachtbrief, eine weiße Spediteursbescheinigung sowie ein vom Zollamt R für Verbrauchsteuerzwecke ausgestelltes begleitendes Verwaltungsdokument vorhanden.7 Nachdem die Finanzverwaltung des UK der deutschen Finanzverwaltung im Jahr 2007 mitgeteilt hatte, dass die Klägerin innergemeinschaftliche Lieferungen an C angemeldet habe und dies nicht korrekt sei, weil es sich bei C um ein Zoll- bzw. Verbrauchsteuerlager handele, führte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) bei der Klägerin eine Überprüfung der Weinlieferungen in das UK durch. Dabei wurde festgestellt, dass auf den Rechnungen jeweils nicht eine USt-IdNr. des F-Fonds, sondern die USt-IdNr. der C angegeben ist. Die Klägerin hatte sich die auf den Rechnungen verwendete USt-IdNr. nicht gemäß § 18e Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) bestätigen lassen.8 Das FA sah aufgrund dieser Erkenntnisse im Umsatzsteuer-Änderungsbescheid für das Streitjahr vom 17. Juli 2009 die o.g. Weinlieferungen als steuerpflichtig an, weil Abnehmer der Weine der F-Fonds gewesen und eine gültige USt-IdNr. des F-Fonds nicht nachgewiesen sei. Der Einspruch der Klägerin blieb erfolglos.9 Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2013, 649 veröffentlichten Urteil ab. Es führte aus, nach den von der Klägerin vorgelegten Belegen und dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung stehe zwar fest, dass sie die Weine in das UK versendet habe und der F-Fonds Abnehmer der Weinlieferungen sei. Die Klägerin habe aber den Buch- und Belegnachweis nicht richtig und vollständig erbracht, weil sie auf den zu den streitgegenständlichen Weinlieferungen ausgestellten Rechnungen und in ihren Büchern nicht die USt-IdNr. des tatsächlichen Abnehmers (F-Fonds) angegeben bzw. aufgezeichnet habe.10 Die Steuerbefreiung könne der Klägerin darüber hinaus deshalb nicht gewährt werden, weil nicht sämtliche Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG erfüllt seien. Zwar sei der F-Fonds als Abnehmer Unternehmer i.S. von § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG. Die Klägerin könne aber nicht nachweisen, dass der Erwerb des Weins beim Abnehmer im UK den Vorschriften der Umsatzbesteuerung unterliege (§ 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG); denn die Weinlieferungen unterlägen nicht gemäß Art. 28a Abs. 1 Buchst. a und c der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten (Richtlinie 77/388/EWG) der Umsatzbesteuerung, insbesondere der Besteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs von Gegenständen. Unter Verweis auf das Mehrwertsteuerrecht des UK lege die Klägerin vielmehr dar, dass innergemeinschaftliche Erwerbe von Waren, die in ein Verbrauchsteuerlager überführt werden, im UK nicht steuerbar seien, da der Ort des innergemeinschaftlichen Erwerbs aufgrund dieser Vorschriften als außerhalb des UK gelegen angesehen werde.11 Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts sowie hilfsweise eine unzureichende Aufklärung des Mehrwertsteuerrechts des UK.12 Sie legt dar, sowohl aus Sicht des deutschen Rechts als auch aus Sicht des Unionsrechts unterliege der innergemeinschaftliche Erwerb der Weine durch den F-Fonds der Erwerbsbesteuerung. Es komme nicht darauf an, dass der innergemeinschaftliche Erwerb tatsächlich besteuert werde, sondern darauf, dass der innergemeinschaftliche Erwerb steuerbar sei. Der innergemeinschaftliche Erwerb müsse zudem der innergemeinschaftlichen Lieferung nicht unmittelbar folgen. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) ergebe sich, dass Waren in einem Zolllager den Vorschriften über die Umsatzbesteuerung unterlägen; dies gelte auch für Steuerlager. Die Lieferung der Waren sei lediglich umsatzsteuerfrei. Soweit das Recht des UK in Section 18 Abs. 3 VAT act 1994 möglicherweise den Ort des innergemeinschaftlichen Erwerbs an einen Ort außerhalb des UK verlege, bestehe eine Befugnis zur Änderung des Orts des Umsatzes nach Unionsrecht nicht; es handele sich bei richtlinienkonformer Auslegung in Wahrheit um eine Steuerbefreiung. Unabhängig davon sei für die Prüfung, ob der innergemeinschaftliche Erwerb den Vorschriften über die Erwerbsbesteuerung unterliege, das Unionsrecht und nicht eine möglicherweise unzutreffende Umsetzung durch den Bestimmungsmitgliedstaat maßgeblich. Hilfsweise beruft sich die Klägerin unmittelbar auf Art. 28c der Richtlinie 77/388/EWG (jetzt: Art. 138 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem --MwStSystRL--).13 In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Klägerin dargelegt, der deutsche Gesetzgeber habe die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen verbrauchsteuerpflichtiger Waren nicht in nationales Recht umgesetzt. Sie, die Klägerin, sei daher bei Ausführung der Umsätze nicht in der Lage gewesen, ihre dabei zu beachtenden steuerrechtlichen Pflichten zu erkennen.14 Ferner trägt sie vor, die Steuerbefreiung dürfe nicht deshalb versagt werden, weil sie, die Klägerin, keine USt-IdNr. des F-Fonds buchmäßig aufgezeichnet habe; denn sie sei redlich gewesen und habe alle ihr zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um eine USt-IdNr. des F-Fonds nachzuweisen. Dies sei unmöglich, weil der F-Fonds über eine solche nicht verfüge. Nach der Rechtsprechung des EuGH reiche es aus, dass der Unternehmer die USt-IdNr. nicht mitteilen könne, er aber andere Angaben mache, die die Unternehmereigenschaft des Erwerbers hinreichend belegen; das zusätzliche Erfordernis, dass der Leistende alle zumutbaren Maßnahmen zur Mitteilung einer USt-IdNr. ergriffen haben müsse, gelte nur im Falle des Mehrwertsteuerbetrugs.15 Die Klägerin beantragt, die angefochtene Vorentscheidung sowie den Umsatzsteuerbescheid vom 17. Juli 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Umsatzsteuer für das Jahr 2003 auf ... EUR festzusetzen.16 Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen, hilfsweise, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Entscheidungsgründe 17 II. Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). 18 Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass der innergemeinschaftliche Erwerb der Weine beim F-Fonds nicht den Vorschriften über die Umsatzbesteuerung unterliegt. Allerdings könnte der Gewährung der Steuerbefreiung entgegenstehen, dass die Klägerin eine USt-IdNr. des F-Fonds nicht aufgezeichnet hat. Dazu sind vom FG weitere Feststellungen zu treffen. 19 1. Eine innergemeinschaftliche Lieferung ist steuerfrei (§ 4 Nr. 1 Buchst. b i.V.m. § 6a Abs. 1 Satz 1 UStG), wenn der Unternehmer oder sein Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet hat (§ 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG), wenn der Abnehmer ein Unternehmer ist, der den Gegenstand der Lieferung für sein Unternehmen erworben hat (§ 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a UStG) und wenn der Erwerb des Gegenstandes der Lieferung beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat den Vorschriften der Umsatzbesteuerung unterliegt (§ 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG). 20 Die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung im vorliegenden Zusammenhang beruhte im Streitjahr u.a. auf Art. 28c Teil A Buchst. a und c der Richtlinie 77/388/EWG. Danach 21 "... befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbrauch festlegen:
a) die Lieferungen von Gegenständen im Sinne des Artikels 5, die durch den Verkäufer oder durch den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb des in Artikel 3 bezeichneten Gebietes, aber innerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden, wenn diese Lieferungen an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nichtsteuerpflichtige juristische Person bewirkt werden, der/die als solcher/solche in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Beginns des Versands oder der Beförderung der Gegenstände handelt.
Diese Befreiung gilt weder für die Lieferungen von Gegenständen, die von Steuerpflichtigen, für die die Steuerbefreiung gemäß Artikel 24 gilt, bewirkt werden, noch für Lieferungen von Gegenständen, die an Steuerpflichtige oder an nichtsteuerpflichtige juristische Personen, für die die Abweichung gemäß Artikel 28a Absatz 1 Buchstabe a) Unterabsatz 2 gilt, bewirkt werden;
b) ...
c) die Lieferungen verbrauchsteuerpflichtiger Waren, die an den Käufer durch den Verkäufer, durch den Käufer oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb des in Artikel 3 bezeichneten Gebietes, aber innerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden, für Steuerpflichtige oder für nichtsteuerpflichtige juristische Personen, für die die Abweichung gemäß Artikel 28a Absatz 1 Buchstabe a) Unterabsatz 2 gilt, wenn der Versand oder die Beförderung der Gegenstände gemäß Artikel 7 Absätze 4 und 5 oder Artikel 16 der Richtlinie 92/12/EWG durchgeführt worden ist.
Die Befreiung findet keine Anwendung auf die Lieferungen verbrauchsteuerpflichtiger Waren durch Steuerpflichtige, die unter die Befreiung nach Artikel 24 fallen." 22 2. Ausgehend davon hat das FG zu Recht angenommen, dass die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 Nr. 3 UStG nur dann erfüllt sind, wenn im UK ein steuerbarer innergemeinschaftlicher Erwerb durch den F-Fonds stattgefunden hat. 23 a) Die innergemeinschaftliche Lieferung eines Gegenstands und sein innergemeinschaftlicher Erwerb sind in Wirklichkeit ein und derselbe wirtschaftliche Vorgang (EuGH-Urteile vom 27. September 2007 C-409/04, Teleos, Slg. 2007, I-7797, BStBl II 2009, 70, Rz 23; vom 18. November 2010 C-84/09, X, Slg. 2010, I-11645, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2011, 103, Rz 28; Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17. Februar 2011 V R 30/10, BFHE 233, 341, BStBl II 2011, 769, Rz 15; vom 17. Februar 2011 V R 28/10, BFHE 233, 331, BFH/NV 2011, 1448, Rz 17; vom 14. Dezember 2011 XI R 18/10, BFH/NV 2012, 1006, Rz 19). 24 b) Es besteht aber keine strenge Konnexität in der Weise, dass die Steuerbefreiung nur zu gewähren ist, wenn der innergemeinschaftliche Erwerb tatsächlich besteuert wird (EuGH-Urteil Teleos in Slg. 2007, I-7797, BStBl II 2009, 70, Rz 24, 69 ff.; BFH-Urteil vom 8. November 2007 V R 72/05, BFHE 219, 422, BStBl II 2009, 55). Vielmehr genügt hierfür --wie die Vorinstanz zutreffend erkannt hat-- die bloße Steuerbarkeit in dem anderen Mitgliedstaat (vgl. BFH-Beschluss vom 29. Juli 2009 XI B 24/09, BFHE 226, 449, BFH/NV 2009, 1567; Handzik in Offerhaus/Söhn/Lange, § 6a UStG Rz 52; Vogel in Vogel/Schwarz, UStG, § 6a Rz 112). Der Umsatzbesteuerung im Bestimmungsmitgliedstaat unterliegt der innergemeinschaftliche Erwerb deshalb z.B. auch dann, wenn er dort steuerfrei ist (z.B. nach Art. 28c Teil B, Teil E i