BUNDESFINANZHOF Urteil vom 26.11.2014, X R 18/13
Inhaltliche Bestimmtheit von Zinsbescheiden - Festsetzungsfrist für Aussetzungszinsen
Leitsätze
1. NV: Werden Zinsen für mehrere Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis äußerlich verbunden in einem Sammelbescheid festgesetzt, muss dieser erkennen lassen, in welcher Höhe Zinsen für die einzelne Steuerart bzw. den einzelnen Steuerabschnitt festgesetzt worden sind.
2. NV: Wird die aufgrund eines Einspruchs gegen den (noch vor Erlass des Grundlagenbescheids ergangenen) Folgebescheid gewährte AdV nach Ergehen des Grundlagenbescheids zwar zunächst aufgehoben, aber nach Anfechtung des Grundlagenbescheids letztlich nahtlos als Folge-AdV fortgesetzt, beginnt die Festsetzungsfrist für den Gesamtbetrag der Aussetzungszinsen erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Einspruch oder die Anfechtungsklage gegen den Grundlagenbescheid endgültig erfolglos geblieben ist, soweit sich die Einsprüche in beiden Verfahren auf dieselben Besteuerungsgrundlagen beziehen.
3. NV: Auf Aussetzungszinsen sind Nachzahlungszinsen (§ 233a AO) anzurechnen, die für denselben Zeitraum festgesetzt wurden.
Tenor
Die Revision der Kläger wird als unbegründet zurückgewiesen.
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 3. April 2013 4 K 4751/12 AO aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens haben die Kläger zu tragen.
Tatbestand 1 I. Die Kläger, Revisionskläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr 2001 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt wurden. Der Kläger veräußerte zum 30. Juni 2001 einen Anteil an einer KG, die zum 31. Dezember 2000 durch Umwandlung aus einer GmbH hervorgegangen war. Er erzielte dabei einen Veräußerungsgewinn, der bei der KG gemäß § 18 Abs. 4 Satz 2 des Umwandlungssteuergesetzes i.d.F. des Gesetzes zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts vom 20. Dezember 2001, BGBl I 2001, 3858 (UmwStG 2001) der Gewerbesteuer unterlag. 2 Der Beklagte, Revisionsbeklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) erließ am 23. Mai 2003 den Einkommensteuerbescheid 2001 gegen die Kläger. Für die KG war zu diesem Zeitpunkt noch kein Feststellungsbescheid ergangen, sondern lediglich eine Mitteilung über die voraussichtlichen Besteuerungsgrundlagen für Zwecke der Vorauszahlungen. Das FA setzte die Höhe der laufenden Einkünfte und des Veräußerungsgewinns entsprechend dieser Mitteilung an, gewährte auf den --der Gewerbesteuer unterliegenden-- Veräußerungsgewinn aber keine Steuerermäßigung nach § 35 des Einkommensteuergesetzes (EStG). 3 Wegen der Versagung der Steuerermäßigung legten die Kläger gegen den Einkommensteuerbescheid Einspruch ein. Das FA gewährte ihnen auf Antrag Aussetzung der Vollziehung (AdV) ab Fälligkeit in Höhe von 116.660,45 EUR (Einkommensteuer) bzw. 6.416,33 EUR (Solidaritätszuschlag). 4 Am 10. Mai 2004 erließ das für die KG zuständige Feststellungs-FA den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte aus der KG, mit dem der Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen nach § 35 EStG verbunden wurde. Darin wurde für den Kläger ein Anteil am Gewerbesteuermessbetrag von 63.342,50 DM festgestellt. Dieser Anteil wurde im Änderungsbescheid vom 19. August 2004 auf 98.070 DM erhöht. 5 In Auswertung des zuletzt genannten Bescheids änderte das FA am 26. Oktober 2004 die Einkommensteuerfestsetzung, berücksichtigte eine Steuerermäßigung nach § 35 EStG in Höhe von 24.085 DM und teilte den Klägern mit, die AdV ende zum 29. November 2004. Ferner vertrat es die Auffassung, der Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid sei mit Erlass des Feststellungsbescheids unzulässig geworden. 6 Noch vor Erlass dieses Bescheids, am 14. Oktober 2004, hatte das Feststellungs-FA den Anteil des Klägers am Gewerbesteuermessbetrag auf 0 DM festgestellt. Hierfür berief es sich auf die Regelung des § 18 Abs. 4 Satz 3 UmwStG 2001, wonach der auf Veräußerungsgewinnen i.S. des § 18 Abs. 4 UmwStG 2001 beruhende Teil des Gewerbesteuermessbetrags bei der Steuerermäßigung nach § 35 EStG nicht zu berücksichtigen ist. Die ehemaligen Gesellschafter der KG legten hiergegen Einspruch ein; das Feststellungs-FA gewährte am 4. November 2004 AdV des Grundlagenbescheids, und zwar bezogen auf den Kläger für einen Anteil am Gewerbesteuermessbetrag in Höhe von 98.070 DM. 7 Diesen Grundlagenbescheid setzte das FA im geänderten Einkommensteuerbescheid 2001 vom 24. November 2004 um, mit dem es keine Steuerermäßigung nach § 35 EStG mehr berücksichtigte. Bereits mit Verfügung vom 22. November 2004 hatte es in Bezug auf diesen Bescheid auf Antrag der Kläger aber AdV ab Fälligkeit in Höhe von 90.256,31 EUR (Einkommensteuer) bzw. 4.964,10 EUR (Solidaritätszuschlag) gewährt. 8 Am 26. Januar 2005 nahmen die Kläger ihren Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid zurück. Seine Vollziehung blieb aber infolge der für den Grundlagenbescheid gewährten AdV ausgesetzt. 9 Am 10. August 2006 setzte das FA die Einkommensteuer 2001 wegen eines Verlustrücktrags aus 2002 herab. Zugleich teilte es mit, die AdV ende zum 14. September 2006. Hiergegen legten die Kläger Einspruch ein und beantragten die weitere Gewährung von AdV. Das FA setzte die Einkommensteuer mit Bescheid vom 18. September 2006 weiter herab. Die sich danach noch ergebenden offenen Beträge von 47.120,15 EUR (Einkommensteuer) bzw. 2.591,61 EUR (Solidaritätszuschlag) hatte es bereits mit Verfügung vom 14. September 2006 ab Fälligkeit von der Vollziehung ausgesetzt. Daraufhin nahmen die Kläger ihren Einspruch gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid zurück. 10 Im noch anhängigen Verfahren der ehemaligen Gesellschafter der KG wegen des Feststellungsbescheids nach § 35 EStG bestätigten sowohl das Hessische Finanzgericht (Urteil vom 19. Dezember 2007 2 K 1375/05, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2008, 821) als auch der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 15. April 2010 IV R 5/08 (BFHE 229, 524, BStBl II 2010, 912), dass für den Veräußerungsgewinn keine Einkommensteuerermäßigung zu gewähren sei. Der BFH verwies den Rechtsstreit allerdings an die dortige Vorinstanz zurück, um aufklären zu lassen, in welchem Umfang der festgesetzte Gewerbesteuermessbetrag auf den Veräußerungsgewinn entfalle. Im zweiten Rechtsgang kamen die Beteiligten überein, dass der gesamte Gewerbesteuermessbetrag auf dem Veräußerungsgewinn beruhe. Da der Kläger in diesem Verfahren noch zusätzliche Veräußerungskosten geltend machte, setzte das Feststellungs-FA am 28. März 2011 den Veräußerungsgewinn geringfügig herab. Im Übrigen blieb der Feststellungsbescheid unverändert; der Rechtsstreit hinsichtlich dieses Bescheids wurde in der Hauptsache für erledigt erklärt. 11 Der Kläger hatte bereits am 25. Juni 2010 die noch offene Einkommensteuer (47.120,15 EUR) gezahlt. Am 27. Juli 2011 setzte das FA die Einkommensteuer 2001 in Auswertung des hinsichtlich der Veräußerungskosten geänderten Grundlagenbescheids geringfügig herab und teilte mit, die AdV ende zum 1. September 2011. In diesem Bescheid wurden zudem Nachzahlungszinsen nach § 233a der Abgabenordnung (AO) in Höhe von 1.415 EUR festgesetzt, wovon nach Anrechnung bereits gezahlter Beträge noch 1.138 EUR offen waren. Der Kläger zahlte den noch offenen Solidaritätszuschlag (2.581,12 EUR) am 24. August 2011. 12 Am 15. Juni 2012 erließ das FA den im vorliegenden Verfahren angefochtenen Bescheid über die Festsetzung von Aussetzungszinsen. In diesem Bescheid heißt es im Abschnitt "Berechnung und Festsetzung der Zinsen" u.a.: 13 Steuerart/-abschnitt auf 50 EUR abgerundeter zu verzinsender Betrag Beginn Zinslauf Ende Zinslauf Zinsmonate Zinssatz Festgesetzte Zinsen ESt 2001 26.400 EUR 26.06.03 29.11.04 17 8,5 % 2.244 EUR ESt 2001 43.100 EUR 29.11.04 14.09.06 38 19,0 % 8.189 EUR ESt 2001 47.100 EUR 14.09.06 25.06.10 83 41,5 % 19.546 EUR SolZ 2001 1.450 EUR 26.06.03 29.11.04 17 8,5 % 123 EUR SolZ 2001 2.400 EUR 29.11.04 14.09.06 38 19,0 % 456 EUR SolZ 2001 2.550 EUR 14.09.06 24.08.11 97 48,5 % 1.236 EUR abzgl. Nachzahlungszinsen 26.06.03 24.08.11 ./. 1.138 EUR Gesamtbetrag 30.656 EUR 14 Im Bescheid angegeben wurden nur die auf die einzelnen Zeitabschnitte entfallenden Zins-Teilbeträge sowie --ohne Unterscheidung nach Steuerarten und -abschnitten-- der Gesamtbetrag der Zinsfestsetzungen nach Anrechnung der Nachzahlungszinsen. Der für die einzelne Steuerart und den einzelnen Steuerabschnitt über alle Berechnungsschritte hinweg insgesamt festgesetzte Zinsbetrag wurde hingegen nicht gesondert ausgewiesen. Hinsichtlich der Anrechnung der Nachzahlungszinsen legte das FA nicht den festgesetzten Betrag (1.415 EUR), sondern den noch offenen Betrag (1.138 EUR) zugrunde. 15 Im anschließenden Einspruchs- und Klageverfahren machten die Kläger geltend, der Einspruch gegen diesen Bescheid sei jedenfalls insoweit "endgültig erfolglos geblieben", als das FA die AdV zum 29. November 2004 --nach Ergehen des erstmaligen Grundlagenbescheids-- zunächst beendet habe und anschließend, im Januar 2005, der Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid zurückgenommen worden sei. Damit habe gemäß § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AO der Lauf der einjährigen Festsetzungsfrist für die Aussetzungszinsen begonnen. Die Festsetzungsfrist sei daher in Bezug auf die zum 29. November 2004 beendete AdV bei Erlass des Zinsbescheids im Jahr 2012 längst abgelaufen gewesen. 16 Das Finanzgericht (FG) setzte die Aussetzungszinsen geringfügig auf 30.379 EUR herab und wies die Klage im Übrigen ab. Für den Beginn des Laufs der Festsetzungsfrist sei im Streitfall der Zeitpunkt der endgültigen Erfolglosigkeit des Einspruchs- und Klageverfahrens gegen den Grundlagenbescheid maßgeblich. Dies folge zwar nicht unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut, wohl aber aus der Systematik und dem Zweck des Gesetzes. 17 Hinsichtlich der Höhe der Aussetzungszinsen folgte das FG der Berechnungssystematik des FA. Die teilweise Klagestattgabe beruhte darauf, dass das FG abweichend vom FA den Gesamtbetrag der festgesetzten Nachzahlungszinsen (1.415 EUR) auf die Aussetzungszinsen anrechnete. 18 Mit ihrer Revision verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Das FG habe nicht beachtet, dass das FA des Folgebescheids frei darin sei, trotz einer AdV des Grundlagenbescheids die AdV des Folgebescheids zu versagen. So habe auch das FA im Streitfall eine eigenständige Prüfung vorgenommen und die AdV zum 14. September 2006 beendet. Dies müsse zum Beginn des Laufs der Festsetzungsfrist für die Aussetzungszinsen führen. 19 Die Kläger beantragen sinngemäß,
das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit darin die Klage abgewiesen worden ist, und die Aussetzungszinsen unter Änderung des Bescheids vom 15. Juni 2012 und unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 29. November 2012 in der Weise festzusetzen, dass der Berechnung nur ein Einkommensteuerbetrag von 47.120,15 EUR für die Zeit vom 14. September 2006 bis zum 25. Juni 2010 und ein Solidaritätszuschlagsbetrag von 2.591,61 EUR für die Zeit vom 14. September 2006 bis zum 24. August 2011 zugrunde gelegt wird. 20 Das FA beantragt,
die Revision der Kläger zurückzuweisen,
sowie das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit darin der Klage stattgegeben worden ist, und die Klage in vollem Umfang abzuweisen. 21 Zur Revision der Kläger vertritt es die Auffassung, die dem zugrunde liegende Ansicht würde zu einem widersinnigen Ergebnis führen, weil die Festsetzungsfrist teilweise schon abgelaufen wäre, bevor überhaupt ein Zinsbescheid ergehen dürfe. 22 Seine eigene Revision begründet das FA damit, dass es nunmehr die von ihm selbst dem angefochtenen Zinsbescheid, der Einspruchsentscheidung und dem im Klageverfahren eingereichten Schriftsatz vom 31. Januar 2013 zugrunde gelegte Berechnungssystematik --die vom FG übernommen worden ist-- für in mehrfacher Hinsicht unzutreffend hält. So seien die Berechnungsschritte nicht an einzelnen Ste