ECLI:DE:BGH:2016:290616B1STR24.16.0 BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 24/16 vom 29. Juni 2016 BGHSt: ja BGHR: ja Nachschlagewerk: ja Veröffentlichung: ja _____________________________ StGB § 174c 2. Für die Be urteilung, ob ein Missbrauch im Sinne von § 174c Abs. 1 StGB vorliegt, kommt es auf die konkrete Art und Intensität des Beratungs - , Behan d- lungs - oder Betreuungsverhältnisses an. BGH, Beschluss vom 29. Juni 2016 1 StR 24/16 - LG München II in der Strafs ache gegen - 2 - wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs - , Behandlungs - oder Betreuungsverhältnisses Der 1 . Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. Juni 2016 gemäß § 349 Abs. 4 und § 354 Abs. 1 StPO beschlossen: Auf die Revisi on des Angeklagten wird das Urteil des Landg e- richts München II vom 15. Juli 2015 aufgehoben. Der Angeklagte wird freigesprochen. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last. Die Nebenklägerin trägt ihre notwendigen Auslagen selbst. Die Entscheidung über die Entschädigung des Angeklagten w e- gen erlittener Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt dem Landg e- richt vorbehalten. Gründe: n- ter Ausn utzung eines Beratungs - oder Behandlungsverhältnisses in zwei Fä l- 1 - 3 - l- streckung zur Bewährung ausgesetzt. Die mit der näher ausgeführten Sachrüge geführte Revision des Angeklagten füh rt zu dessen Freispruch. - 4 - I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen: 1. Der Angeklagte ist Facharzt für Psychiatrie und Neurologie und in di e- ser Funktion in verschiedenen Positionen tätig gewesen, u.a. als Landgericht s- arzt beim Landgeric ht München II, als Psychiater in den Justizvollzugsanstalten Straubing und München - Stadelheim und als stellvertretender Chefarzt einer forensischen Abteilung. Seit 2001 ist der Angeklagte als freier (forensischer) Gutachter tätig. In dieser Funktion lernte der Angeklagte die Nebenklägerin, die Zeugin S . , im Jahr 2007 kennen. Die Nebenklägerin war zu dieser Zeit Richterin in einer Strafvollstreckungskammer beim Landgericht München I und hatte mit einem (anderweitig verheirateten) Kollegen der Strafvollstr e- ckungskammer ein Verhältnis begonnen. Dieser Kollege, der Zeuge W . , war damals mit dem Angeklagten eng befreundet und machte ihn mit der N e- benklägerin bekannt. Sie erteilte in der Folgezeit gelegentlich Gutachtenauftr ä- ge an den Angekla gten. W . sagte der Nebenklägerin, dass der Angekla g- te Interesse an ihr habe. Als die Beziehung der Nebenklägerin mit W . E n- de 2007 in eine Krise geriet, verabredete sie sich Anfang 2008 mit dem Ang e- klagten zum Abendessen in einem Münchener Lokal. Dort erzählte sie ihm von ihrer Alkoholabhängigkeit. Beim Abschied versuchte der Angeklagte, der N e- benklägerin einen Zungenkuss zu geben, was diese abwehrte. In der Folgezeit gab es nur noch zufällige Begegnungen der beiden. 2. Die Nebenklägerin war seit Ende 2004 alkoholabhängig und wurde deshalb mehrfach stationär behandelt. Bei einem viermonatigen Aufenthalt in der Oberbergklinik im Jahr 2006 wurden neben der Alkoholabhängigkeit eine bipolare affektive Störung und eine posttraumatische Belastu ngsstörung dia g- nostiziert, bei einem zweiwöchigen Aufenthalt im Jahr 2009 ein Rückfall bei 2 3 4 - 5 - Alkoholabhängigkeit, eine Benzodiazepin - Abhängigkeit und eine bipolare affe k- tive Störung und bei einem weiteren zweiwöchigen Aufenthalt im Februar 2010 ein Rückfall bei Alkoholabhängigkeit, eine Angststörung und eine bipolare affektive Störung. Bei ihrem letzten Aufenthalt wurde sie u.a. mit dem Benzod i- azepin Tavor behandelt, das in der Klinik langsam reduziert und bis Ende Fe b- ruar 2010 abgesetzt wurde. Anschließend war die Nebenklägerin weiterhin in ambulanter Behandlung. 3. Nach dem letzten Klinikaufenthalt gingen die dienstlichen Leistungen n- le i nwaltschaft München I tätig war, merklich zurück. Anfang Juni 2010 hielt ihr Vorgesetzter ihr dies in einem G e- spräch vor und mahnte eine Verbesserung der Arbeitsleistung oder den Wec h- sel in eine andere Abteilung bzw. zu einer anderen Behörde an. Hierdurch füh l- te sich die Nebenklägerin unter Druck gesetzt und konnte sich nicht mehr vo r- stellen, ohne die Einnahme von Benzodiazepinen weiter zu arbeiten. Sie ging davon aus, dass ihr behandelnder Psychotherapeut ihr diese nicht verschreiben würde. In dieser Situa tion kam ihr der Gedanke, sich an den Angeklagten zu wenden und sein Interesse an ihr auszunutzen, um ihn zur Verschreibung von Benzodiazepinen zu bewegen. a) Am 5. Juni 2010 rief die Nebenklägerin beim Angeklagten an, sagte, ihr gehe es sehr schlecht, und fragte ihn zum Schein, ob es in einer Notfalla m- bulanz Psychiater gebe. Dabei hoffte sie, er würde ihr seine Hilfe anbieten. Der Angeklagte bot ihr (ihrem Plan entsprechend) an, sie solle doch zu ihm in die Praxis kommen, was die Nebenklägerin tat. Dort diagnostizierte er bei ihr eine massive Angstattacke und verschrieb ihr medizinisch vertretbar auf ihre Bi t- te hin 10 Tabletten mit dem Wirkstoff Tavor, einem Benzodiazepin. Beide b e- 5 6 - 6 - sprachen die von der Nebenklägerin auf Verschreibung ihres Psychothera pe u- ten eingenommene Medikation, der Angeklagte schlug aufgrund erheblicher Nebenwirkungen (Gewichtszunahme) eine Änderung vor. Die Nebenklägerin stellte dem Angeklagten in diesem Zusammenhang ein privates Treffen in Au s- sicht, was dieser annahm. Sie hoffte dabei, den Angeklagten durch eine sex u- e l le Beziehung als Tablettengeber zu gewinnen. Zugleich kam ihr entgegen, dass sie damit i hren früheren Geliebten W. ärgern konnte. b) Der Angeklagte ließ sich von der Nebenklägerin eine Schweig e- pflichtentb indung unterschreiben und forderte von der Oberbergklinik die Arz t- berichte an, die er noch im Juni 2010 erhielt und las. Daraus ergab sich für den Angeklagten, dass bei der Nebenklägerin das Risiko einer Benzodiazepin - Abhängigkeit bestand. Im Juni sandte d er Angeklagte der Nebenklägerin auf ihre Bitte hin mindestens einmal ein weiteres Benzodiazepinrezept zu, das die Nebenklägerin mittels Fertigung einer Kopie zweimal einlöste. In der Folgezeit kam es zu mehrfachem Kontakt zwischen der Nebenklägerin und dem Ang e- klagten. Ende Juni 2010 sandte die Nebenklägerin dem Angeklagten eine SMS mit einem eindeutigen sexuellen Angebot, die folgenden SMS waren dann von beiden Seiten in einem sexuellen Bereich angesiedelt. c) Anfang Juli 2010 verabredeten sich beide in der Wohnung der Nebe n- klägerin, um dort sexuell miteinander zu verkehren. Man einigte sich auf Initiat i- Utensilien wie Schlagwerkzeuge mit, die anschließend zum Einsatz kamen. Es kam a uch zum ungeschützten vaginalen Geschlechtsverkehr. In der Folgezeit kam es ungefähr zu zwei weiteren, in gleicher Weise verlaufenden Intimkonta k- ten (nicht verfahrensgegenständlich). 7 8 - 7 - Dem Angeklagten war dabei bekannt, dass die Nebenklägerin ihn in se i- ne r Eigenschaft als Arzt aufgesucht, er sie über ihre Medikation beraten und ihr Rezepte ausgestellt hatte. Er machte sich bei der Aufnahme der intimen Bezi e- hungen zunutze, dass sie sich in einem psychisch angeschlagenen Zustand befand und dass sie für die v on ihr begehrten Benzodiazepine von ihm als ärz t- lichem Rezeptgeber abhängig war. Der Angeklagte hätte zwar gerne eine L e- benspartnerschaft mit der Nebenklägerin begonnen, wollte ein Kind von ihr, überlegte, eine gemeinsame Wohnung zu nehmen, und sprach ihr gegenüber halb im Scherz und halb im Ernst an, sie zu heiraten. Die Nebenklägerin lehnt e e- l- mehr weiterhin mit P. liiert. d) In den folgenden Wochen fuhren der Angeklagte und die Nebenkläg e- rin an zwei Wochenenden jeweils in das Ferienhaus des Angeklagten am Ga r- dasee, wo sie Sexualverkehr in der beschriebenen Weise hatten (insoweit hat die Staatsanw altschaft das Verfahren nach § 154 Abs. 1 StPO eingestellt). Sie gingen auch in Verona einkaufen und besuchten die Oper. e) Im August 2010 wollte der Angeklagte Urlaub in seinem Ferienhaus in Kreta machen und bat die Nebenklägerin um Begleitung. Als die se ablehnte, erklärte er, dann nehme er seine bisherige Lebensgefährtin P . mit. Dies empfand die Nebenklägerin als Unverschämtheit, weil der Angeklagte ihr noch kurz zuvor erklärt habe, er liebe sie und wolle sie heiraten. Sie forderte vom Angeklag ten, er müsse ihr weiter die Medikamente geben. Der Angeklagte, der die Nebenklägerin als Sexualpartnerin nicht verlieren wollte, ging darauf ein und überließ ihr zwei Blankorezepte, die sie anschließend zur Medikamentenb e- schaffung (Tavor, Zyprexa) verwend ete. 9 10 11 - 8 - f) Ende Oktober 2010 trafen sich die Nebenklägerin und der Angeklagte n- geklagten, wo er ihr einen alt en Rezeptblock mit fünf blanko unterzeichneten Rezepten überließ. Dann begaben sie sich in die Wohnung der Nebenklägerin und hatten dort Geschlechtsverkehr. g) Aufgrund einer Bitte des Angeklagten, ihm einen Rezeptblock im I n- ternet zu bestellen, bestel lte sich die Nebenklägerin mit den Daten des Ang e- klagten selbst einen Rezeptblock sowie einen passenden Praxisstempel, fälschte anschließend die Unterschrift des Ange