Leitsätze
Parteien
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor
Schlüsselwörter
Freier Warenverkehr - Mengenmäßige Beschränkungen - Maßnahmen gleicher Wirkung - Nationale Regelung, die eine Null-Tolleranz hinsichtlich des Vorhandenseins von Listeria monocytogenes bei bestimmten Fischereierzeugnissen festlegt - Zulässigkeit
(Artikel 28 EG und 30 EG; Richtlinie 91/493 des Rates; Entscheidung 94/356 der Kommission)
Leitsätze
$$Weder die Richtlinie 91/493 zur Festlegung von Hygienevorschriften für die Erzeugung und die Vermarktung von Fischereierzeugnissen und die Entscheidung 94/356 mit Durchführungsvorschriften zu der Richtlinie 91/493 betreffend die Eigenkontrollen bei Fischereierzeugnissen noch die Artikel 28 EG und 30 EG stehen der Anwendung einer nationalen Regelung entgegen, die eine Null-Toleranz hinsichtlich des Vorhandenseins von Listeria monocytogenes bei nicht chemisch konservierten Fischerzeugnissen festlegt.
( vgl. Randnr. 47 und Tenor )
Parteien
In der Rechtssache C-121/00
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom Bezirksgericht Innere Stadt Wien (Österreich) in dem bei diesem anhängigen Strafverfahren gegen
Walter Hahn
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Richtlinie 91/493/EWG des Rates vom 22. Juli 1991 zur Festlegung von Hygienevorschriften für die Erzeugung und die Vermarktung von Fischereierzeugnissen (ABl. L 268, S. 15),
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Richters A. La Pergola in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Fünften Kammer sowie der Richter P. Jann und S. von Bahr (Berichterstatter)
Generalanwalt: L. A. Geelhoed
Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- der Staatsanwaltschaft Wien, vertreten durch H. Kellner, Erster Staatsanwalt,
- des Herrn Hahn, vertreten durch Rechtsanwalt C. Hauer,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch G. Berscheid und G. Braun als Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen des Herrn Hahn und der Kommission in der Sitzung vom 23. Oktober 2001,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 13. Dezember 2001,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
1 Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien hat mit Beschluss vom 21. März 2000, beim Gerichtshof eingegangen am 30. März 2000, gemäß Artikel 234 EG eine Frage nach der Auslegung der Richtlinie 91/493/EWG des Rates vom 22. Juli 1991 zur Festlegung von Hygienevorschriften für die Erzeugung und die Vermarktung von Fischereierzeugnissen (ABl. L 268, S. 15) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Frage stellt sich in einem Strafverfahren gegen Herrn Hahn (im Folgenden: Beschuldigter) und/oder die verantwortlichen Personen der Nordsee GmbH (im Folgenden: Nordsee) wegen fahrlässigen Inverkehrbringens gesundheitsschädlicher Lebensmittel.
Rechtlicher Rahmen
Das Gemeinschaftsrecht
3 Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe d der Richtlinie 91/493 bestimmt:
Für die Vermarktung von in ihrem natürlichen Lebensraum gefangenen Fischereierzeugnissen gelten folgende Bedingungen:
...
d) Sie müssen einer Gesundheitskontrolle gemäß Kapitel V des Anhangs unterzogen worden sein."
4 Kapitel V (Gesundheitskontrollen und Produktionsüberwachung") des Anhangs der Richtlinie 91/493 enthält neben einem Teil I über die allgemeine Überwachung einen Teil II, in dem die besonderen Kontrollen aufgezählt sind, d. h. die organoleptischen Prüfungen, die parasitologischen und die chemischen Kontrollen sowie die mikrobiologischen Untersuchungen. Zu den Letztgenannten ist in Kapitel V Teil II Nummer 4 des Anhangs der Richtlinie 91/493 bestimmt, dass [n]ach dem Verfahren des Artikels 15 dieser Richtlinie ... mikrobiologische Kriterien einschließlich Probenahmepläne und Analysemethoden aufgestellt [werden], wenn dies zum Schutz der menschlichen Gesundheit erforderlich ist".
5 Nach Artikel 2 Nummer 14 der Richtlinie 91/493 sind im Sinne dieser Richtlinie Betrieb: alle Räumlichkeiten, in denen Fischereierzeugnisse zubereitet, verarbeitet, gekühlt, gefroren, verpackt oder gelagert werden. Versteigerungshallen und Großhandelsmärkte, in denen ausschließlich das Feilbieten und der Verkauf en gros erfolgt, gelten nicht als Betriebe".
6 Artikel 6 der Richtlinie 91/493 lautet:
(1) Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass die für die Betriebe verantwortlichen Personen alle erforderlichen Maßnahmen treffen, damit die Vorschriften dieser Richtlinie auf allen Stufen der Herstellung der Fischereierzeugnisse eingehalten werden.
Die genannten verantwortlichen Personen müssen zu diesem Zweck Eigenkontrollen durchführen, für die die folgenden Grundsätze gelten:
- Ermittlung der je nach dem verwendeten Herstellungsprozess zu bestimmenden kritischen Punkte in ihrem Betrieb;
- Festlegung und Durchführung von Überwachungs- und Kontrollmethoden für diese kritischen Punkte;
- Entnahme von Proben, die durch ein von der zuständigen Behörde zugelassenes Labor analysiert werden; damit sollen die Reinigungs- und Desinfektionsmethoden kontrolliert sowie die Einhaltung der in dieser Richtlinie festgelegten Normen überprüft werden;
- Aufbewahrung schriftlicher oder unlöschbar registrierter Aufzeichnungen der vorstehenden Punkte zum Zweck ihrer Vorlage bei der zuständigen Behörde. Die Ergebnisse der einzelnen Kontrollen und Untersuchungen insbesondere sind während eines Zeitraums von mindestens zwei Jahren aufzubewahren.
(2) Stellt sich bei den Eigenkontrollen oder bei sonstigen Informationen, über die die in Absatz 1 genannten verantwortlichen Personen verfügen, heraus, dass eine Gefahr für die Gesundheit oder Grund für einen entsprechenden Verdacht besteht, so werden unbeschadet der Maßnahmen gemäß Artikel 3 Absatz 1 Unterabsatz 4 der Richtlinie 89/662/EWG unter amtlicher Kontrolle die geeigneten Maßnahmen ergriffen.
(3) Die Durchführungsbestimmungen zu Absatz 1 Unterabsatz 2 werden nach dem Verfahren des Artikels 15 festgelegt."
7 Artikel 2 Absatz 1 der Entscheidung 94/356/EG der Kommission vom 20. Mai 1994 mit Durchführungsvorschriften zu der Richtlinie 91/493/EWG betreffend die Eigenkontrollen bei Fischereierzeugnissen (ABl. L 156, S. 50) bestimmt:
Als kritische Punkte im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 Unterabsatz 2 erster Gedankenstrich der Richtlinie 91/493/EWG gelten alle Punkte, Stufen oder Verfahrensschritte in einem Herstellungsprozess, bei denen Hygienerisiken, die die gesundheitliche Unbedenklichkeit eines Lebensmittels gefährden, durch gezielte Kontrollmaßnahmen verhindert, beseitigt oder auf ein annehmbares Niveau vermindert werden können. Alle kritischen Punkte, die für die Einhaltung der Hygienevorschriften der Richtlinie 91/493/EWG zweckmäßig sind, müssen identifiziert werden."
8 Kapitel I (Identifizierung der kritischen Punkte") des Anhangs der Entscheidung 94/356 schreibt unter Nummer 6 (Erstellung eines Verzeichnisses der Risiken und Maßnahmen zu ihrer Beherrschung") Buchstabe a folgende Vorgehensweise durch ein fachübergreifendes Team vor:
Erstellung eines Verzeichnisses der potenziellen biologischen, chemischen oder physikalischen Risiken, mit deren Auftreten auf den einzelnen Prozessstufen ... gerechnet werden muss.
Als Risiko gilt jeder gesundheitsgefährdende Umstand, der unter die Hygieneziele der Richtlinie 91/493/EWG fällt. [Genannt] seien insbesondere:
- jede biologisch (Mikroorganismen, Parasiten), chemisch oder physikalisch bedingte Kontamination (oder Rekontamination) von Rohstoffen, Zwischenerzeugnissen oder Enderzeugnissen in unannehmbarem Maß,
- das Überleben oder die Vermehrung von Krankheits- oder Verderbniserregern und das Freiwerden chemischer Stoffe in Zwischen- und Enderzeugnissen, beim Produktionsablauf oder im Produktionsumfeld in unannehmbarem Maß,
- ..."
9 Kapitel I Nummer 6 Buchstabe b des Anhangs der Entscheidung 94/356 sieht als Aufgaben des fachübergreifenden Teams vor:
Erwägung und Beschreibung gegebenenfalls existierender Maßnahmen zur Beherrschung der einzelnen Risiken.
Zur Risikobeherrschung können alle Maßnahmen und Vorkehrungen getroffen werden, die geeignet sind, ein Risiko zu verhüten oder zu beseitigen oder seine Auswirkungen bzw. die Möglichkeit seines Entstehens auf ein annehmbares Niveau zu reduzieren. Möglicherweise sind diverse Maßnahmen erforderlich, um ein identifiziertes Risiko zu beherrschen. Ebenso können mehrere Risiken durch eine einzige Maßnahme beherrscht werden.
..."
Die nationale Regelung
10 § 7 Absatz 1 Buchstabe a des Lebensmittelgesetzes (LMG) von 1975 (BGBl. Nr. 86/1975, in der in BGBl. Nr. 226/1988 veröffentlichten letzten Fassung) in Verbindung mit § 8 Buchstabe a LMG verbietet das Inverkehrbringen von Lebensmitteln, Verzehrprodukten und Zusatzstoffen, die gesundheitsschädlich sind, d. h., wenn sie geeignet sind, die Gesundheit zu gefährden oder zu schädigen".
11 Gemäß den §§ 56 Absatz 1 Ziffer 1 und 57 Absatz 1 LMG ist derjenige, der fahrlässig gesundheitsschädliche Lebensmittel, Verzehrprodukte oder Zusatzstoffe in den Verkehr bringt, mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen".
12 § 51 LMG bestimmt:
Dem Bundesminister für Gesundheit und Umweltschutz obliegt die Herausgabe des Österreichischen Lebensmittelbuches (Codex Alimentarius Austriacus). Es dient der Verlautbarung von Sachbezeichnungen, Begriffsbestimmungen, Untersuchungsmethoden und Beurteilungsgrundsätzen sowie von Richtlinien für das Inverkehrbringen von diesem Bundesgesetz unterliegenden Waren."
13 Gemäß § 52 Absatz 1 LMG ist zur Beratung des Bundesministers für Gesundheit und Umweltschutz in Angelegenheiten dieses Gesetzes sowie zur Vorbereitung des Codex Alimentarius Austriacus eine Kommission (Codexkommission) einzurichten. Nach § 53 LMG bestellt die Codexkommission einen Ständigen Hygieneausschuss.
14 Die Richtlinie 91/493 und die Entscheidung 94/356 wurden in Österreich durch die Verordnung über Hygienebestimmungen für das Inverkehrbringen von Fischerzeugnissen (Fischhygieneverordnung, BGBl. II Nr. 260/1997) umgesetzt. Kapitel I Ziffer 6 Buchstabe a Absatz 2 und Buchstabe b Absätze 2 und 3 des Anhangs 2 dieser Verordnung entspricht Kapitel I Nummer 6 Buchstabe a Absatz 2 und Buchstabe b Absätze 2 und 3 des Anhangs der Entscheidung 94/356.
Das Ausgangsverfahren und die Vorlagefrage
15 Herr Hahn (nachfolgend: Beschuldigter) und/oder die Firma Nordsee GmbH (nachfolgend: Nordsee) werden beschuldigt, fahrlässig gesundheitsschädliche Lebensmittel in den Verkehr gebracht zu haben. Bei den beanstandeten Lebensmitteln handelt es sich um geräucherte Fischprodukte, darunter dänischen Räucherlachs.
16 Gemäß dem Vorlagebeschluss kam es insbesondere zwischen Ende 1998 und Anfang 1999 teils aufgrund routinemäßiger lebensmittelpolizeilicher Kontrollen, teils aufgrund von Beschwerden, u. a. nach Lebensmittelvergiftungssymptomen, zu zahlreichen Probeziehungen in den Geschäftslokalen der Firma Nordsee sowie in Lebensmittelgeschäften, die von dieser Firma mit Fischprodukten beliefert worden waren. Bei der organoleptischen Prüfung (Aussehen, Geruch und Geschmack) zeigten die Proben keine Auffälligkeiten, und das Ablaufdatum war noch nicht erreicht. Bei Probenmengen von 25 g wurde allerdings eine Kontamination mit Listeria monocytogenes festgestellt. Neben dieser qualitativen Untersuchung wurde keine quantitative Untersuchung vorgenommen.
17 Das vorlegende Gericht führt aus, der Ständige Hygieneausschuss habe in seiner Sitzung am 9. Februar 1998 eine Listeria-monocytogenes-Beurteilung erstellt, nach der sowohl in nicht weiter behandelten, aber anderweitig stabilisierten Produkten, etwa infolge Räuchern, Salzen oder Vakuumverpacken, als auch in rohen, verzehrfertigen Lebensmitteln und auch in Lebensmitteln nach Erhitzung eine negative Befundung immer nur auf nicht nachweisbar in 25 g" lauten dürfe. Bei einem Nachweis von Listeria monocytogenes sei das Lebensmittel somit als gesundheitsschädlich zu beurteilen.
18 Diese Entscheidung für eine Null-Toleranz sei in der Sitzung des Ausschusses am 30. März 1998 ausdrücklich bestätigt worden. Der Ausschuss habe später jedoch festgelegt, dass in nicht wärmebehandelten, aber chemisch konservierten Produkten ein Grenzwert von bis zu 100 cfu (colony-forming units, kolonienbildende Einheiten) pro Gramm keine Gesundheitsschädlichkeit darstelle.
19 Das vorlegende Gericht erklärt hierzu, zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen kämen zu dem Ergebnis, dass aus wissenschaftlicher Sicht eine derartige Nu