Rechtssache C‑542/08
Friedrich G. Barth
gegen
Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung
(Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichtshofs [Österreich])
„Freizügigkeit – Arbeitnehmer – Gleichbehandlung – Besondere Dienstalterszulage für Universitätsprofessoren nach einer nationalen Regelung, deren Unvereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht durch ein Urteil des Gerichtshofs festgestellt worden ist – Verjährungsfrist − Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität“
Leitsätze des Urteils
Unionsrecht – Unmittelbare Wirkung – Individuelle Rechte – Schutz durch die nationalen Gerichte – Nationale Verfahrensvorschriften – Tatbestandsmerkmale – Beachtung der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität
Das Unionsrecht steht einer Regelung nicht entgegen, nach der die Geltendmachung von Ansprüchen auf besondere Dienstalterszulagen, die einem von seinen Freizügigkeitsrechten Gebrauch machenden Arbeitnehmer vor Erlass des Urteils vom 30. September 2003, Köbler (C‑224/01), aufgrund der Anwendung mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbarer innerstaatlicher Rechtsvorschriften vorenthalten wurden, einer Verjährungsfrist von drei Jahren unterliegt.
Die Ausgestaltung gerichtlicher Verfahren ist nämlich Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten, wobei diese Verfahren nicht weniger günstig gestaltet sein dürfen als bei entsprechenden Klagen, die nur innerstaatliches Recht betreffen (Äquivalenzgrundsatz), und die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen (Effektivitätsgrundsatz).
Insoweit kann eine Verjährungsbestimmung nicht als Verstoß gegen den Äquivalenzgrundsatz angesehen werden, wenn neben einer Verjährungsbestimmung, die für gerichtliche Rechtsbehelfe zur Gewährleistung des Schutzes der Rechte der Bürger aus dem Unionsrecht im innerstaatlichen Recht gilt, eine Verjährungsbestimmung existiert, die für nur innerstaatliches Recht betreffende Rechtsbehelfe gilt, und diese Verjährungsbestimmungen unter Berücksichtigung ihres Gegenstands und ihrer wesentlichen Elemente als gleichartig angesehen werden können.
Was den Grundsatz der Effektivität angeht, so ist die Festsetzung angemessener Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung im Interesse der Rechtssicherheit, die zugleich den Betroffenen und die Behörde schützt, mit dem Unionsrecht vereinbar. Solche Fristen sind nämlich nicht geeignet, die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint eine nationale Verjährungsfrist von drei Jahren angemessen.
Dieser Auslegung steht nicht entgegen, dass die Wirkungen des Urteils Köbler die ausgelegte Bestimmung ab dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens erfassen, da diese Wirkungen vom Gerichtshof zeitlich nicht begrenzt wurden. Denn die Anwendung einer Verfahrensmodalität wie etwa einer Verjährungsfrist darf nicht mit einer Begrenzung der Wirkungen eines Urteils des Gerichtshofs verwechselt werden, in dem dieser über die Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts entscheidet.
Das Unionsrecht verbietet es einem Mitgliedstaat im Übrigen nicht, einem Antrag auf Gewährung einer – unter Verletzung von Vorschriften des Unionsrechts nicht gewährten – besonderen Dienstalterszulage eine Verjährungsfrist entgegenzuhalten, auch wenn dieser Mitgliedstaat die nationalen Bestimmungen nicht geändert hat, um sie mit dem Unionsrecht in Einklang zu bringen. Anders steht es nur, wenn das Verhalten der nationalen Behörden in Verbindung mit der Existenz einer Verjährungsfrist zur Folge hatte, dass einer Person jede Möglichkeit genommen wird, ihre Rechte vor den nationalen Gerichten geltend zu machen.
(vgl. Randnrn. 17, 20, 27-30, 33, 41 und Tenor)
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)
15. April 2010(*)
„Freizügigkeit – Arbeitnehmer – Gleichbehandlung – Besondere Dienstalterszulage für Universitätsprofessoren nach einer nationalen Regelung, deren Unvereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht durch ein Urteil des Gerichtshofs festgestellt worden ist – Verjährungsfrist − Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität“
In der Rechtssache C‑542/08
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Verwaltungsgerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 12. November 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 4. Dezember 2008, in dem Verfahren
Friedrich G. Barth
gegen
Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot, der Richterin C. Toader sowie der Richter C. W. A. Timmermans (Berichterstatter), P. Kūris und L. Bay Larsen,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: M.-A. Gaudissart, Referatsleiter,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 4. Februar 2010,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– von Herrn Barth, vertreten durch die Rechtsanwälte Laurer und Arlamovsky,
– der österreichischen Regierung, vertreten durch E. Riedl als Bevollmächtigten,
– der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek als Bevollmächtigten,
– der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues, B. Cabouat und A. Czubinski als Bevollmächtigte,
– der italienischen Regierung, vertreten durch I. Bruni als Bevollmächtigte im Beistand von F. Arena, avvocato dello Stato,
– der polnischen Regierung, vertreten durch M. Dowgielewicz als Bevollmächtigten,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch V. Kreuschitz und G. Rozet als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 39 EG und Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2) sowie des Grundsatzes der Effektivität.
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Barth und dem Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung wegen eines Bescheids, mit dem ihm die teilweise Verjährung der von ihm beantragten besonderen Dienstalterszulage entgegengehalten wurde.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3 Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1612/68 lautet:
„Ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, darf auf Grund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Entlohnung, Kündigung und, falls er arbeitslos geworden ist, im Hinblick auf berufliche Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung, nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer.“
Nationales Recht
4 Das Gehaltsgesetz 1956 (im Folgenden: GehG) in der Fassung des Gesetzes BGBl I 1997/109 bestimmt in § 50a Abs. 1:
„Einem Universitätsprofessor …, der eine fünfzehnjährige Dienstzeit in dieser Verwendungsgruppe im Dienststand an österreichischen Universitäten … aufweist und vier Jahre im Dienststand im Bezug der Dienstalterszulage gemäß § 50 Abs. 4 gestanden ist, gebührt ab dem Zusammentreffen beider Voraussetzungen eine ruhegenussfähige besondere Dienstalterszulage in der Höhe der Dienstalterszulage gemäß § 50 Abs. 4.“
5 Durch das im BGBl I 2003/130 veröffentlichte Gesetz wurde § 50a GehG folgender Abs. 4 angefügt:
„Bei der Berechnung der fünfzehnjährigen Dienstzeit gemäß Abs. 1 sind auch Zeiten heranzuziehen, die
1. nach dem 7. November 1968 in einer vergleichbaren Verwendung an einer Universität eines Staates, der oder dessen Rechtsnachfolger nunmehr Mitgliedstaat des Europäischen Wirtschaftsraumes ist …
…
zurückgelegt worden sind.“
6 § 13b Abs. 1 GehG in der zum Zeitpunkt der Ernennung des Beschwerdeführers geltenden Fassung (BGBl 1973/318) lautet:
„Der Anspruch auf Leistungen verjährt, wenn er nicht innerhalb von drei Jahren geltend gemacht wird, nachdem die anspruchsbegründende Leistung erbracht worden oder der anspruchsbegründende Aufwand entstanden ist.“
7 § 169a GehG, der durch das im BGBl I 2003/130 veröffentlichte Gesetz eingefügt wurde, bestimmt:
„(1) Weist ein Universitätsprofessor des Dienststandes, des Ruhestandes oder ein emeritierter Universitätsprofessor Dienstzeiten gemäß § 50a Abs. 4 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 130/2003 auf, die nun auf Grund des angeführten Bundesgesetzes zu berücksichtigen sind, ist auf seinen Antrag die besondere Dienstalterszulage gemäß § 50a entsprechend anzupassen. Antragsberechtigt sind weiters bei Zutreffen der Voraussetzungen auch ehemalige Universitätsprofessoren …
(2) Die Anpassung der besonderen Dienstalterszulage nach Abs. 1 wird rückwirkend, frühestens jedoch mit 1. Jänner 1994 wirksam.
(3) Rechtswirksam sind Anträge gemäß Abs. 1, wenn sie vor Ablauf des 30. Juni 2004 gestellt werden.
(4) Für besoldungs- und pensionsrechtliche Ansprüche, die aus der Anwendung des Abs. 1 für Zeiten entstehen, die vor dem 1. Juli 2004 liegen, ist der Zeitraum vom 30. September 2003 bis zum 30. Juni 2004 nicht auf die dreijährige Verjährungsfrist des § 13b dieses Bundesgesetzes … anzuwenden.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
8 Aus dem Vorlagebeschluss geht hervor, dass der Beschwerdeführer des Ausgangsverfahrens, ein deutscher Staatsangehöriger, vom 1. Jänner 1975 bis 28. Februar 1987 als Universitätsprofessor an der Johann Wolfgang Goethe‑Universität in Frankfurt am Main (Deutschland) tätig war. Mit Wirkung vom 1. März 1987 wurde er zum ordentlichen Universitätsprofessor an der Universität Wien (Österreich) ernannt. Durch diese Ernennung erwarb er auch die österreichische Staatsbürgerschaft.
9 Da die Dienstzeiten, die der Beschwerdeführer des Ausgangsverfahrens an der Universität Frankfurt am Main zurückgelegt hatte, für die besondere Dienstalterszulage nach § 50a Abs. 1 GehG nicht berücksichtigt worden waren, wurde ihm diese Zulage nicht gewährt.
10 Nachdem der österreichische Gesetzgeber das GehG unter Berücksichtigung des Urteils vom 30. September 2003, Köbler (C‑224/01, Slg. 2003, I‑10239), durch das im BGBl I 2003/130 veröffentlichte Gesetz geändert hatte, begehrte der Beschwerdeführer des Ausgangsverfahrens mit einem an die Universität Wien gerichteten Schreiben vom 2. März 2004 die Anpassung seiner besonderen Dienstalterszulage unter Einrechnung der an der Universität Frankfurt am Main zugebrachten Dienstzeiten. Mit dem im behördlichen Instanzenzug ergangenen Bescheid wurde in Spruchpunkt I der Zeitpunkt des Anfalls der besonderen Dienstalterszulage des Beschwerdeführers des Ausgangsverfahrens unter Einrechnung dieser Dienstzeiten mit 1. Jänner 1994 festgestellt. Mit Spruchpunkt II dieses Bescheids wurde jedoch ausgesprochen, dass die Anpassung gemäß Spruchpunkt I besoldungsrechtlich mit 1. Oktober 2000 wirksam werde.
11 In der dagegen erhobenen Beschwerde an das vorlegende Gericht stellt der Beschwerdeführer des Ausgangsverfahrens, der ausdrücklich nur Spruchpunkt II des Bescheids bekämpft, den in Spruchpunkt I ausgesprochenen Zeitpunkt, ab dem der Anspruch auf Anpassung der besonderen Dienstalterszulage bestand, nicht in Frage. Er macht der Sache nach geltend, dass die Anwendung der Verjährungsbestimmung in Spruchpunkt II des Bescheids mit dem Gemeinschaftsrecht, insbesondere Art. 39 EG, nicht im Einklang stehe.
12 Da der Verwaltungsgerichtshof der Auffassung ist, dass es für die Entsc