EUR-Lex -  62015CC0148 - DE
Karar Dilini Çevir:

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MACIEJ SZPUNAR

vom 2. Juni 2016 ( 1 )

Rechtssache C‑148/15

Deutsche Parkinson Vereinigung e. V.

gegen

Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e. V.

(Vorabentscheidungsersuchen des Oberlandesgerichts Düsseldorf, Deutschland)

„Freier Warenverkehr — Art. 34 und 36 AEUV — Nationale Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel — Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung — Verkaufsmodalität — Rechtfertigung aus Gründen des Gesundheitsschutzes“

I – Einleitung

1.

Fragen zu Art. 36 AEUV ( 2 ) haben den Gerichtshof früher beschäftigt als solche zur unmittelbaren Wirkung oder zum Vorrang des Unionsrechts ( 3 ). Zwischen dem Interesse der Union an den Verkehrsfreiheiten und den Interessen der Mitgliedstaaten bei der Verfolgung nicht wirtschaftlicher öffentlicher Ziele zu entscheiden, ist eine schwierige Aufgabe, die im Lauf der Zeit nicht einfacher geworden ist. Im Gegenteil, es ergeben sich immer wieder dieselben Rechtsfragen im Rahmen unterschiedlicher Sachverhalte. Wie der vorliegende Fall deutlich zeigt, bilden die Vertragsbestimmungen über den Binnenmarkt und insbesondere diejenigen über den freien Warenverkehr noch immer den Kern des Rechtssystems der Union und ihrer Wirtschaftsverfassung.

2.

Der Vorlagebeschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf, mit dem es wissen möchte, ob eine Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel mit den Art. 34 und 36 AEUV vereinbar ist, ist ein gutes Beispiel für die Relevanz der Rechtsvorschriften über den freien Warenverkehr.

3.

Unabhängig davon und weniger offensichtlich ist dieser Fall ein neuerliches Beispiel für den Wert des Vorabentscheidungsverfahrens. Nach der nicht einheitlichen Rechtsprechung von zwei deutschen obersten Gerichten, des Bundessozialgerichts und des Bundesgerichtshofs, zur Frage der Rechtmäßigkeit der in Rede stehenden Bestimmungen nach den Art. 34 und 36 AEUV hatte der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes ( 4 ) diese Bestimmungen für mit dem Unionsrecht im Einklang stehend erklärt ( 5 ). Ohne das Oberlandesgericht Düsseldorf, das dies meiner Ansicht nach zu Recht bezweifelt, wäre der Fall niemals vor den Gerichtshof gelangt.

4.

Schließlich sei mit aller Deutlichkeit gesagt: Es ist dies das dritte Mal, dass sich der Gerichtshof mit der Vereinbarkeit einer deutschen Maßnahme mit den vertraglichen Grundfreiheiten im Rahmen der Bemühungen der niederländischen Apotheke DocMorris um Zugang zum deutschen Markt auseinandersetzten muss. In der ersten Rechtssache, Deutscher Apothekerverband e. V. gegen 0800 DocMorris NV und Jacques Waterval ( 6 ), hatte der Gerichtshof darüber zu entscheiden, ob ein deutsches Verbot des Versandhandels mit Arzneimitteln, deren Verkauf den Apotheken in diesem Mitgliedstaat vorbehalten war, mit den Art. 34 und 36 AEUV vereinbar war. Der Gerichtshof hat entschieden, dass, obwohl die betreffende Maßnahme eine Maßnahme mit gleicher Wirkung im Sinne des Art. 34 AEUV darstellt, hinsichtlich der in Deutschland verschreibungspflichtigen Arzneimittel, anders als hinsichtlich der nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, Art. 36 AEUV geltend gemacht werden kann. Der zweite Fall, die verbundenen Rechtssachen Apothekerkammer des Saarlandes u. a. gegen Saarland, Ministerium für Justiz, Gesundheit und Soziales (C‑171/07) und Helga Neumann-Seiwert gegen Saarland, Ministerium für Justiz, Gesundheit und Soziales (C‑172/07) ( 7 ), betraf die Frage, ob die Niederlassungsbestimmungen ( 8 ) deutschen Rechtsvorschriften entgegenstehen, wonach Personen, die keine Apotheker sind, der Besitz und der Betrieb von Apotheken verwehrt ist (sogenanntes „Fremdbesitzverbot“). Der Gerichtshof hat entschieden, dass die Niederlassungsfreiheit dem „Fremdbesitzverbot“ nicht entgegensteht.

5.

Nach der ersten Rechtssache DocMorris änderte Deutschland seine Rechtsvorschriften und erlaubte den Versandhandel nicht nur für nicht verschreibungspflichtige, sondern auch für verschreibungspflichtige Arzneimittel. Nach den dem Gerichtshof vorliegenden Unterlagen gab es zumindest eine Zeitlang keine Bestimmungen über einheitliche Preise für verschreibungspflichtige Arzneimittel, die aus Mitgliedstaaten eingeführt wurden. Später wurden derartige Bestimmungen auch für diese Erzeugnisse eingeführt. Dies führt uns zum rechtlichen Rahmen.

II – Rechtlicher Rahmen

A – Deutsches Arzneimittelrecht

6.

§ 78 Abs. 1 Satz 1 des Arzneimittelgesetzes (im Folgenden: AMG) bestimmt:

„Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie wird ermächtigt, …

1.

Preisspannen für Arzneimittel, die im Großhandel, in Apotheken oder von Tierärzten im Wiederverkauf abgegeben werden,

festzusetzen.“

7.

§ 78 Abs. 2 AMG lautet:

„Die Preise und Preisspannen müssen den berechtigten Interessen der Arzneimittelverbraucher, der Tierärzte, der Apotheken und des Großhandels Rechnung tragen. Ein einheitlicher Apothekenabgabepreis für Arzneimittel, die vom Verkehr außerhalb der Apotheken ausgeschlossen sind, ist zu gewährleisten. …“

8.

Da die Rechtsprechung der deutschen obersten Gerichte in der Frage, ob diese Bestimmung auch für verschreibungspflichtige Arzneimittel gilt, die im Wege des Versandhandels von Apotheken in einem anderen Mitgliedstaat bezogen werden, nicht einheitlich war, fügte der deutsche Gesetzgeber mit Gesetz vom 19. Oktober 2012 ( 9 ) den folgenden Satz in § 78 Abs. 1 AMG ein: „Die Arzneimittelpreisverordnung, die auf Grund von Satz 1 erlassen worden ist, gilt auch für Arzneimittel, die gemäß § 73 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1a in den Geltungsbereich dieses Gesetzes verbracht werden.“ Der in Bezug genommene § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a betrifft Arzneimittel, die im Wege des Versandhandels von einer Apotheke mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat an Endverbraucher in Deutschland abgegeben werden.

9.

Außerdem entschied der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes angesichts der nicht einheitlichen Rechtsprechung der deutschen obersten Gerichtshöfe mit Beschluss vom 22. August 2012, dass auch die frühere Fassung des AMG in diesem Sinne auszulegen sei.

B – Die deutsche Arzneimittelpreisverordnung

10.

Die Arzneimittelpreisverordnung bestimmt – soweit hier von Bedeutung –, dass der Hersteller für sein Arzneimittel einen Preis festsetzt (§ 1), auf den dann ein Großhandelszuschlag (§ 2) und ein Apothekenzuschlag (§ 3) aufgeschlagen werden. Für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel gilt diese Verordnung nicht. Außerdem enthält § 7 Abs. 1 Nr. 2 des Heilmittelgesetzes ein Verbot von Preisnachlässen.

III – Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen

11.

Die Deutsche Parkinson Vereinigung e. V. (im Folgenden: DPV), ist eine Selbsthilfeorganisation, deren Ziel es ist, die Lebensumstände von Parkinson-Patienten und deren Familien zu verbessern. Mit einem Schreiben, das eine Kooperation zwischen DPV und der niederländischen Versandapotheke DocMorris bewirbt, stellte DPV im Juli 2009 ihren Mitgliedern ein Bonussystem vor, das verschiedene Boni für verschreibungspflichtige, nur über Apotheken erhältliche Parkinson-Medikamente bei deren Bezug durch die Mitglieder des DPV von DocMorris vorsieht.

12.

Die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e. V. (im Folgenden: ZBW) hielt die Werbung gemäß § 4 Nr. 11 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (im Folgenden: UWG) in Verbindung mit § 78 AMG a. F. und §§ 1 und 3 der Arzneimittelpreisverordnung bzw. § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG n. F. für unlauter, da das beworbene Bonusmodell gegen die gesetzliche Festlegung eines einheitlichen Apothekenabgabepreises verstoße.

13.

Das Landgericht gab der Klage von ZBW statt und untersagte DPV, im Wettbewerb handelnd im Rahmen einer Kooperation mit der Versandapotheke DocMorris deren Bonusmodell zu empfehlen, wenn dies wie mit dem den Streit auslösenden Anschreiben geschieht. Das Landgericht sah das Unterlassungsbegehren als begründet an, da DPV mit dem beanstandeten Anschreiben gegen § 8 Abs. 3 Nr. 2, § 3 und § 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 78 AMG und §§ 1 und 3 der Arzneimittelverordnung verstoßen habe. Das Schreiben stelle eine geschäftliche Handlung von DPV dar, die unlauter sei, da das beworbene Bonussystem wettbewerbsrechtlich unzulässig sei. Die in Rede stehenden Regelungen hätten schon zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Handlung auch für Lieferungen der in Deutschland nicht ansässigen DocMorris gegolten. Nunmehr ergebe sich dies aus § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG in der Fassung vom 26. Oktober 2012.

14.

DPV legte gegen das Urteil Berufung ein, mit der es den Antrag auf Abweisung der Klage von ZBW weiter verfolgt.

15.

Im Rahmen dieses Verfahrens hat das Oberlandesgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 24. März 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 30. März 2015, folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.

Ist Art. 34 AEUV dahin gehend auszulegen, dass eine durch nationales Recht angeordnete Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln eine Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne von Art. 34 AEUV darstellt?

2.

Sollte der Gerichtshof die Frage zu Nr. 1 bejahen:

Ist die Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln gemäß Art. 36 AEUV zum Schutze der Gesundheit und des Lebens von Menschen gerechtfertigt, wenn nur durch sie eine gleichmäßige und flächendeckende Arzneimittelversorgung der Bevölkerung in ganz Deutschland, insbesondere in den ländlichen Gebieten, gewährleistet wird?

3.

Sollte der Gerichtshof auch die Frage zu Nr. 2 bejahen:

Welche Anforderungen sind an die gerichtliche Feststellung zu treffen, dass der in Ziff. 2 zweiter Halbsatz genannte Umstand tatsächlich zutrifft?

IV – Würdigung

A – Frage 1 – Beschränkung des freien Warenverkehrs

16.

Stellt eine durch nationales Recht angeordnete Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln eine Maßnahme mit gleicher Wirkung im Sinne des Art. 34 AEUV dar?

1. Dassonville

17.

Die Definition einer Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung ist so bekannt, dass sie kaum der Wiederholung bedarf. Im Urteil Dassonville hat der Gerichtshof festgestellt, dass „[j]ede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern, … als Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung anzusehen [ist]“ ( 10 ). Heute neigt der Gerichtshof dazu, von „Maßnahmen“, statt von „Handelsregelungen der Mitgliedstaaten“ zu sprechen ( 11 ), auch wenn er sich gelegentlich der traditionellen Dassonville-Formel bedient ( 12 ). Den Zweck der Art. 34 ff. AEUV hat der Gerichtshof prägnant wie folgt zusammengefasst: „Nach ständiger Rechtsprechung seit dem Urteil … Dassonville … bedeutet dies nach dem Kontext dieser Bestimmungen [Art. 34 und 35 AEUV], dass alle unmittelbaren oder mittelbaren, tatsächlichen oder potenziellen Beeinträchtigungen der Handelsströme innerhalb der Gemeinschaft beseitigt werden sollen.“ ( 13 )

18.

Preisbindung ist ein Dorn im Auge eines jeden Wirtschaftsteilnehmers, der nicht am Markt präsent ist, wird doch der Wettbewerb im Wesentlichen vom Preis bestimmt. Nimmt man einem Wirtschaftsteilnehmer die Möglichkeit, einen bestimmten Preis zu unterbieten, nimmt man ihm einen Teil seiner Wettbewerbsfähigkeit. Für Waren aus anderen Mitgliedstaaten als Deutschland ergeben sich daraus Schwierigkeiten, auf den deutschen Markt zu gelangen. Die streitgegenständlichen Bestimmungen sind geeignet, Einfuhren nach Deutschland zu beschränken.

19.

Diese Bestimmungen stellen daher nach dem Urteil Dassonville eine Maßnahme mit gleicher Wirkung dar. Sie sind mehr als nur geeignet, den Handel zu behindern. Dies zeigt sich schon daran, dass die Verkäufe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln von DocMorris in Deutschland nach ihrer Einführung zurückgegangen sind.

2. Keck

20.

Als nächstes ist zu untersuchen, ob die in Rede stehenden deutschen Bestimmungen eine „bestimmte Verkaufsmodalität“ im Sinne des Urteils Keck und Mithouard darstellen. Wenn dies so wäre, fielen sie nicht in den Anwendungsbereich der Vertragsbestimmungen über den freien Warenverkehr.

21.

In der wohl umstrittensten Entscheidung zu den Vertragsbestimmungen über den freien Warenverkehr ( 14 ) hat der Gerichtshof bekanntlich entschieden, dass „entgegen der bisherigen Rechtsprechung die Anwendung nationaler Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, auf Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten nicht geeignet [ist], den Handel zwischen den Mitgliedstaaten im Sinne des Urteils Dassonville … unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern, sofern diese Bestimmungen für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und sofern sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren“ ( 15 ) . Der Gerichtshof hat weiter ausgeführt: „Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so ist die Anwendung derartiger Regelungen auf den Verkauf von Erzeugnissen aus einem anderen Mitgliedstaat, die den von diesem Staat aufgestellten Bestimmungen entsprechen, nicht geeignet, den Marktzugang für diese Erzeugnisse zu versperren oder stärker zu behindern, als sie dies für inländische Erzeugnisse tut. Diese Regelungen fallen daher nicht in den Anwendungsbereich von Artikel [34 AEUV].“ ( 16 )

22.

Das Urteil Keck ist nach meiner Auffassung die legitime Antwort des Gerichtshofs darauf, dass sich Wirtschaftsteilnehmer in zunehmendem Maße auf Art. 34 AEUV berufen haben, um die Anwendung jedweder Vorschriften, die sie in der Ausübung ihrer Wirtschaftstätigkeit behinderten, durch ein nationales Gericht verhindern zu lassen ( 17 ). Das Problem waren wohl weniger die Zahl der angestrengten Gerichtsverfahren als die Fragen, um die es ging ( 18 ). Eine sehr weite Auslegung des Anwendungsbereichs des Art. 34 AEUV hatte zur Folge, dass der Gerichtshof vermehrt mit Fragen befasst wurde, die mit dem freien Warenverkehr tatsächlich nur am Rande zu tun hatten, sondern vielmehr mit sensiblen gesellschaftlichen Entscheidungen wie etwa zur Frage der Ladenöffnungszeiten an Sonntagen und dergleichen.

23.

Tatsächlich hat der Gerichtshof die Keck-Ausnahme aber nur selten angewandt, und er hat darüber hinaus nie klar definiert, was unter einer „Verkaufsmodalität“ zu verstehen ist ( 19 ). Da es solche aber gibt, bleibt das Urteil Keck aktuell und muss im vorliegenden Fall geprüft werden ( 20 ).

24.

Bestimmungen wie die hier in Rede stehenden über die Preisbindung bei bestimmten Erzeugnissen sind auf den ersten Blick keine „Vorschriften[, denen Waren] entsprechen müssen (wie etwa hinsichtlich ihrer Bezeichnung, ihrer Form, ihrer Abmessungen, ihres Gewichts, ihrer Zusammensetzung, ihrer Aufmachung, ihrer Etikettierung und ihrer Verpackung)“ ( 21 ) . Ferner hat der Gerichtshof im Fall einer nationalen Buchpreisregelung entschieden, dass diese, „soweit [sie] sich nicht auf die Merkmale dieser Erzeugnisse bezieht, sondern nur die Modalitäten betrifft, unter denen sie verkauft werden dürfen, … als Regelung über Verkaufsmodalitäten im Sinne des Urteils Keck und Mithouard anzusehen [ist]“ ( 22 ).

25.

Auch wenn der Gerichtshof in derselben Rechtssache die betreffende Regelung dann doch als eine Maßnahme mit gleicher Wirkung angesehen hat, „weil sie für eingeführte Bücher eine unterschiedliche Regelung trifft, die bewirkt, dass Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten weniger günstig behandelt werden“ ( 23 ), halte ich die Ausgangsfeststellung, dass eine Preisbindung eine Verkaufsmodalität darstellt, für zu weitgehend. Eine Preisbindung bei einem bestimmten Erzeugnis kommt einer Regelung über Aufmachung, Etikettierung und Verpackung sehr nahe. Schließlich sind Erzeugnisse oft mit einem Preisetikett auf der Verpackung versehen. Darüber hinaus ist meines Erachtens jede Maßnahme, die einen der wichtigsten Aspekte einer Ware, nämlich den Preis, regelt, mehr als eine Verkaufsmodalität. Maßnahmen in Bezug auf den Preis berühren den Wettbewerbsvorteil eines Wirtschaftsteilnehmers unmittelbar und sind aus der Sicht der Wirtschaftsteilnehmer viel einschneidender als etwa ein Verbot des Verkaufs zu einem Verlustpreis oder Regelungen betreffend Ladenöffnungszeiten. Sie sollten nicht als eine „Verkaufsmodalität“ angesehen werden. Ich halte es daher grundsätzlich für problematisch, eine Preisbindung zunächst als eine Verkaufsmodalität zu qualifizieren mit der Folge, dass danach zu prüfen ist, ob die Maßnahme den Marktzugang behindert und/oder diskriminierend wirkt.

26.

Meines Erachtens würde es genügen, zu prüfen, ob die Voraussetzungen der Dassonville-Formel vorliegen oder nicht. Wie dem auch sei, unter Berücksichtigung der vorliegenden Rechtsprechung werde ich die in Rede stehenden Bestimmungen so prüfen, als stellten sie eine „Verkaufsmodalität“ dar.

27.

Ein einheitlicher Apothekenabgabepreis wie der, mit dem wir es hier zu tun haben, gilt ohne Zweifel rechtlich für deutsche und ausländische Apotheken und damit sowohl für deutsche als auch für eingeführte Erzeugnisse.

28.

Deutschland vertritt die Auffassung, dass dies auch der tatsächlichen Lage entspreche. Auch der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes ist der Ansicht, dass die Preisbindung gesetzlich und tatsächlich gleichermaßen für innerstaatliche und ausländische Apotheken gelte ( 24 ).

29.

Im Gegensatz dazu ist die Kommission der Auffassung, dass es sich um eine Maßnahme mit gleicher Wirkung handele. Die Preisbindung treffe ausländische Apotheken härter, weil sie den Nachteil, nur über den Versandhandel Zugang zum deutschen Markt zu haben, lediglich durch den Vorteil ausgleichen könnten, ihre Waren entsprechend den geltenden Preisvorschriften des Mitgliedstaats verkaufen zu dürfen, in dem sie ansässig seien. Demgegenüber sei der Versandhandel für deutsche Apotheken nur ein zusätzlicher Vertriebsweg.

30.

Wie DPV, die niederländische Regierung und die Kommission zu Recht bemerken, können Apotheken, die in Deutschland nicht ansässig sind, nur auf einem Weg Zugang zum deutschen Markt erhalten, nämlich durch das Internet. Der Hauptgrund dafür ist das deutsche „Fremdbesitzverbot“, wonach der Besitz und der Betrieb einer Apotheke Apothekern ( 25 ) vorbehalten ist. Eine nicht in Deutschland ansässige Internet-Apotheke, die ihre Erzeugnisse auf dem deutschen Markt vertreiben will, sieht sich daher in ihrem Zugang zum deutschen Markt behindert, wenn sie nicht über den Preis konkurrieren kann.

31.

Der vorliegende Fall geht jedoch noch darüber hinaus.

32.

Maßnahmen, die zwar rechtlich, aber nicht tatsächlich in gleicher Weise Anwendung finden, werden gewöhnlich als indirekt diskriminierende Maßnahmen bezeichnet. Die Feststellung jeder Art von Diskriminierung ist immer eine heikle Angelegenheit. Sie ist, wie der vorliegende Fall gut zeigt, vom Vergleichsobjekt abhängig. Wenn man wie der Gemeinsame Senat die Internet-Apotheken als Vergleichsobjekt nimmt, lässt sich kaum eine indirekte Diskriminierung feststellen. Die Apotheke in Hamburg (DE) und die in Heerlen (NL), die beide an Patienten in Trier (DE) liefern wollen, würden tatsächlich gleichbehandelt.

33.

Dies ist jedoch nicht der richtige Blickwinkel, um die Frage der (indirekten) Diskriminierung im vorliegenden Fall zu prüfen.

34.

Mit Sicherheit sind es nicht die Internet-Apotheken, die miteinander zu vergleichen sind, sondern die Apotheken im Allgemeinen. Und dann ergibt sich ein anderes Bild, und zwar aus dem einfachen Grund, wie DPV zu Recht geltend macht, dass sich deutsche und nicht deutsche Apotheken in unterschiedlichem Maße des Internets bedienen. Eine Apotheke, die bereits in Deutschland präsent ist, wird sich – wenn überhaupt – nur in geringem Maße des Internets bedienen, während eine Apotheke, die nicht in Deutschland ansässig ist, kein anderes Mittel als das Internet hat, um Patienten in Deutschland zu beliefern. Mit anderen Worten: Die Belieferung über den Versandhandel ist für eine deutsche Apotheke nur ein zusätzlicher Vertriebsweg, während sie für eine nicht deutsche Apotheke der einzige Vertriebsweg ist.

35.

Im Urteil Deutscher Apothekerverband hat der Gerichtshof festgestellt, dass ein Verbot des Versandhandels mit Arzneimitteln „außerhalb Deutschlands ansässige Apotheken stärker [beeinträchtigt] als Apotheken in Deutschland“ ( 26 ). Er hat weiter ausgeführt, dass, auch wenn das Verbot den inländischen Apotheken unstreitig ein zusätzliches oder alternatives Mittel des Zugangs zum deutschen Markt der Endverbraucher von Arzneimitteln nehme, ihnen doch die Möglichkeit bleibe, Arzneimittel in ihren Apotheken zu verkaufen. Dagegen könnte für Apotheken, die nicht in Deutschland ansässig sind, im Internet ein Mittel liegen, das für den unmittelbaren Zugang zu diesem Markt eher geeignet sei. Ein Verbot, das sich auf außerhalb des deutschen Hoheitsgebiets ansässige Apotheken stärker auswirkt, könnte jedoch geeignet sein, den Marktzugang für Waren aus anderen Mitgliedstaaten stärker zu behindern als für inländische Erzeugnisse ( 27 ).

36.

Im Urteil Ker Optika hat der Gerichtshof diese Argumentation auf den Fall eines Verbots des Vertriebs von Kontaktlinsen über den Versandhandel erstreckt. Er hat festgestellt, dass ein solches Verbot den Wirtschaftsteilnehmern aus anderen Mitgliedstaaten eine besonders effiziente Modalität für den Vertrieb dieser Waren vorenthält und so deren Zugang zum Markt des betroffenen Mitgliedstaats erheblich behindert ( 28 ).

37.

In Fällen, in denen die Maßnahme dazu führt, den Marktzugang von Internet-Apotheken, die typischerweise im Ausland ansässig sind, zu blockieren oder zumindest zu verengen, um eine lebensfähige Struktur von Präsenz-Apotheken zu erhalten, lässt sich meines Erachtens nicht von einer unterschiedslos geltenden Verkaufsmodalität sprechen. Ich bin daher der Ansicht, dass die in Rede stehende deutsche Maßnahme, indem sie nicht deutsche Apotheken indirekt diskriminiert, keine „bestimmte Verkaufsmodalität“ im Sinne des Urteils Keck und Mithouard ist und ein Handelshemmnis für Arzneimittel aus anderen Mitgliedstaaten darstellt.

38.

Dies bringt mich zu einer abschließenden Erwägung zur Einstufung der deutschen Bestimmungen: Mein Ergebnis steht nicht nur voll und ganz im Einklang mit dem Urteil Keck und Mithouard, sondern auch mit dessen oben dargestelltem Grundgedanken. Sensible Angelegenheiten nicht wirtschaftlicher Art, die den freien Warenverkehr als solchen nur am Rand betreffen (und die nicht diskriminierend sind), sollten Sache der Mitgliedstaaten bleiben. Von einer solchen sensiblen Frage kann aber meines Erachtens keine Rede sein, wenn die Maßnahme dazu führt, dass der Wettbewerb und der Marktzugang für ausländische Wirtschaftsteilnehmer beschränkt werden. Eine derartige Maßnahme ist in keiner Weise vergleichbar mit Fällen wie dem Verkauf zu einem Verlustpreis ( 29 ), dem Verkauf an Sonntagen ( 30 ) oder Werbebeschränkungen ( 31 ).

B – Fragen 2 und 3 – Rechtfertigung aus Gründen des Gesundheitsschutzes

39.

Mit der zweiten und der dritten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die in Rede stehenden Bestimmungen aus Gründen des „Schutzes der Gesundheit und des Lebens von Menschen“ gemäß Art. 36 AEUV gerechtfertigt sind ( 32 ).

1. Geltend gemachter Rechtfertigungsgrund: öffentliche Gesundheit

40.

Seit dem Urteil de Peijper, in dem es erstmals um eine Ausnahme zum Schutz der öffentlichen Gesundheit ging, hat der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung festgestellt, dass „[u]nter den in Artikel 36 [AEUV] geschützten Gütern und Interessen … die Gesundheit und das Leben von Menschen den ersten Rang ein[nehmen] und es … Sache der Mitgliedstaaten [ist], in den durch den Vertrag gesetzten Grenzen zu bestimmen, in welchem Umfang sie deren Schutz gewähren wollen …“ ( 33 ).

41.

Deutschland, das diesen Rechtfertigungsgrund geltend macht, betont, dass die in Rede stehende Maßnahme notwendig sei, um 1. eine gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung in Deutschland sicherzustellen, 2. die Qualität dieser Versorgung zu gewährleisten und die Patienten zu schützen und 3. die Kosten im Gesundheitssektor zu kontrollieren.

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