140 I 394 - Schweizerisches Bundesgericht
Karar Dilini Çevir:
Urteilskopf
140 I 394


31. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Walker gegen Regierungsrat des Kantons Appenzell A.Rh. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)1C_59/2012 / 1C_61/2012 vom 26. September 2014
Regeste a
Art. 34 Abs. 1 und 2 sowie Art. 51 Abs. 2 BV; Befugnis des Bundesgerichts zur Überprüfung von kantonalen Verfassungsbestimmungen im Anwendungsfall. Das aus Art. 34 BV fliessende Prinzip der Wahlrechtsgleichheit ist seit der Gewährleistung der Verfassung des Kantons Appenzell A.Rh. durch die Bundesversammlung im Jahr 1996 weiterentwickelt worden. Dieser Entwicklung gilt es Rechnung zu tragen, weshalb das Bundesgericht auf eine die Wahl des Kantonsrats Appenzell A.Rh. 2011 betreffende Beschwerde hin prüft, ob das in den Grundzügen in der Kantonsverfassung geregelte Wahlverfahren mit der Wahlrechtsgleichheit zu vereinbaren ist (E. 9).
Regeste b
Art. 34 Abs. 1 und 2 BV; Wahl eines kantonalen Parlaments in einem gemischten Wahlverfahren, welches Elemente sowohl des Majorz- als auch des Proporzprinzips enthält. Im Hinblick auf die aus Art. 34 BV fliessende Wahlrechtsgleichheit erweist sich das Majorzprinzip für kantonale Parlamentswahlen als nicht optimal. Das bedeutet allerdings nicht, dass das Majorzverfahren für kantonale Parlamentswahlen mit der Bundesverfassung generell unvereinbar wäre. Je nach den konkreten Umständen können die Vorteile des Majorzprinzips grösser sein als die mit seiner Anwendung verbundenen Nachteile (E. 8 und 10). Auch ein gemischtes Wahlsystem, welches Elemente sowohl des Majorz- als auch des Proporzprinzips enthält, ist unter bestimmten Voraussetzungen mit der Bundesverfassung vereinbar (E. 11).
Sachverhalt ab Seite 396
BGE 140 I 394 S. 396 Im Kanton Appenzell A.Rh. wurde die Gesamterneuerungswahl des Kantonsrats auf den 3. April 2011 (1. Wahlgang) und den 15. Mai 2011 (2. Wahlgang) angesetzt. Am 15. März 2011 erhob Tim Walker Beschwerde beim Regierungsrat des Kantons Appenzell A.Rh. mit dem Antrag, die Kantonsratswahlen seien zu verschieben, eventualiter sei deren Resultat aufzuheben. Er brachte vor, die Wahlkreise seien - ausser jener von Herisau - unrechtmässig klein. Dadurch, dass in 19 von 20 Wahlkreisen maximal 6 Personen pro Wahlkreis wählbar seien und zudem in diesen 19 Gemeinden durchwegs das Majorzwahlverfahren zur Anwendung gelange, werde das Wahlresultat in bundesverfassungswidriger Art und Weise massiv verfälscht. Der Regierungsrat wies die Beschwerde mit Entscheid vom 22. März 2011 ab. Eine von Tim Walker dagegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht Appenzell A.Rh. am 31. August 2011 ab, soweit es darauf eintrat.Mit Eingabe vom 27. Januar 2012 hat Tim Walker Beschwerde ans Bundesgericht erhoben. Er beantragt die Aufhebung des Obergerichtsurteils und des Entscheids des Regierungsrats vom 22. März 2011. Weiter verlangt er, das Resultat der Kantonsratswahl 2011 sei aufzuheben und in Nachachtung von Art. 34 Abs. 2 BV zu wiederholen.Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit darauf einzutreten ist. (Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
6.
6.1 Beim Majorz- oder Mehrheitswahlverfahren fallen die zu vergebenden Parlamentssitze den Personen mit der grössten Stimmenzahl zu. Pro Wahlkreis können ein Mandat oder mehrere Mandate BGE 140 I 394 S. 397vergeben werden. Je nach Ausgestaltung der Wahlordnung ist für eine Wahl das absolute Mehr (mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen) oder das relative Mehr (Erreichen der höchsten Stimmenzahlen) erforderlich. Wird das absolute Mehr verlangt und dieses im ersten Wahlgang nicht für alle Mandate erreicht, so genügt im zweiten Wahlgang in der Regel das relative Mehr (ANDREAS KLEY, in: Staatsrecht, Biaggini/Gächter/Kiener [Hrsg.], 2011, S. 339; HÄFELIN/ HALLER/KELLER, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 8. Aufl. 2012, S. 478 Rz. 1464).
6.2 Im Unterschied dazu werden beim Proporz- oder Verhältniswahlsystem die Parlamentssitze auf verschiedene Parteien und Gruppierungen im Verhältnis ihres Wähleranteils verteilt. Die Wählerinnen und Wähler geben ihre Stimme einer Liste, auf der die Namen mehrerer Kandidaten stehen. Danach werden die Mandate proportional zur Stärke der an der Wahl beteiligten Parteien und Gruppierungen verteilt. Diese Verteilung kann nach unterschiedlichen Verfahren erfolgen (vgl. KLEY, a.a.O., S. 339 ff.). Hinter dem Proporzgedanken steht die Vorstellung, dass verschiedene in einem Gemeinwesen bestehende politische Gruppierungen nach dem Verhältnis ihrer Stärke im Parlament vertreten sein sollen.
6.3 Majorz und Proporz sind idealtypische Wahlsysteme. Wie rein sie verwirklicht sind und sich entfalten können, hängt ab von der konkreten Wahlordnung und von der Praxis der Parteien (YVO HANGARTNER, Die Wahl kantonaler Parlamente nach dem Majorzsystem, ZBl 106/2005 S. 218). Das anwendbare Recht kann ein gemischtes Wahlsystem vorsehen, welches Elemente sowohl des Majorz- als auch des Proporzprinzips enthält.Denkbar ist beispielsweise, dass in den Wahlkreisen jeweils ein Sitz nach dem Majorzprinzip vergeben wird, während allfällige weitere Sitze proportional verteilt werden. Von einem gemischten Wahlsystem wird auch gesprochen, wenn in einigen Wahlkreisen das Proporzwahlverfahren angewandt wird, während in anderen Wahlkreisen des gleichen Gemeinwesens das Majorzprinzip zum Zug kommt (PIERRE GARRONE, L'élection populaire en Suisse, 1991, S. 108 ff.). Prominentes Beispiel eines gemischten Wahlsystems ist die sog. personalisierte Verhältniswahl, welche nach dem deutschen Bundeswahlgesetz für die Wahl des Bundestages zur Anwendung kommt. Danach verfügt jede Wählerin und jeder Wähler über eine Erst- und eine Zweitstimme. Mit der Erststimme wird in jedem Wahlkreis ein Abgeordneter gewählt. Auf diese Weise wird die Hälfte der Sitze in Form BGE 140 I 394 S. 398von Direktmandaten nach dem Mehrheitswahlverfahren abgegeben: Wer im Wahlkreis die meisten Stimmen erhält, ist gewählt. Mit der zweiten Stimme entscheiden sich die Wählenden für die Landesliste einer Partei. Die Gesamtheit der Sitze wird nach dem Parteienverhältnis gemäss den bundesweit erreichten Zweitstimmen verteilt. Dieser "Bundesproporz" ist für die Grösse der Vertretung der Parteien im Bundestag massgebend. Erringt eine Partei mit den Erststimmen mehr Sitze als ihr nach dem Bundesproporz zustehen, so verbleibt sie dennoch in deren Besitz (sog. Überhangsmandate), wodurch sich die gesetzliche Mitgliederzahl des Bundestags erhöht (HÄFELIN/HALLER/ KELLER, a.a.O., S. 478 f. Rz. 1465a).Aber auch wenn eine Wahlordnung ausdrücklich das Proporz- oder Majorzprinzip für anwendbar erklärt, kann die konkrete Wahlordnung systemfremde Effekte hervorrufen. Namentlich beeinflussen die Zahl der Mandate und die Einteilung des Wahlgebiets in Wahlkreise den Majorz- bzw. Proporzeffekt erheblich. Beispielsweise kommt der Proporzeffekt dann nicht richtig zum Tragen, wenn in einem Wahlkreis, in dem formell das Proporzprinzip gilt, nur sehr wenige Sitze zu vergeben sind (BGE 131 I 74 E. 3.3 S. 80; HANGARTNER, a.a.O., S. 218 sowie 225 f.; KLEY, a.a.O., S. 339; THOMAS POLEDNA, Wahlrechtsgrundsätze und kantonale Parlamentswahlen, 1988, S. 130 f.).
6.4 In der weit überwiegenden Mehrheit der Kantone werden die Parlamente nach dem Proporzwahlverfahren besetzt. Einzig die Kantone Graubünden und Appenzell I.Rh. wenden für die Wahl der Mitglieder ihrer Parlamente ein reines Majorzverfahren an. Einige Kantone haben ein Mischverfahren (so namentlich Appenzell A.Rh., wo die Gemeinden das Proporzverfahren einführen können, und Uri, wo das Proporzsystem nur gilt, wenn drei oder mehr Landräte in einer Gemeinde zu wählen sind). Die weite Verbreitung des Proporzwahlverfahrens für Parlamentswahlen in den Kantonen ist im Zusammenhang zu sehen mit der vorherrschenden Überzeugung, dass das Parlament die Stimmbevölkerung in dem Sinne repräsentieren soll, dass die verschiedenen Meinungen und Interessen der Wähler abgebildet werden (ALFRED KÖLZ, Probleme des kantonalen Wahlrechts, ZBl 88/1987 S. 37).
7.
7.1 Nach herrschender Lehre können die Kantone frei entscheiden, ob sie ihr Parlament nach dem Proporz- oder dem Majorzprinzip wählen (HANGARTNER/KLEY, Die demokratischen Rechte in Bund und Kantonen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 2000, S. 578 Rz. 1418 ff.; JEAN-FRANÇOIS AUBERT, Bundesstaatsrecht der Schweiz, BGE 140 I 394 S. 399Bd. I, 1967, S. 231 Rz. 571; HÄFELIN/HALLER/KELLER, a.a.O., S. 435 Rz. 1380a; GARRONE, a.a.O., S. 38 f.; POLEDNA, a.a.O., S. 135; VINCENT MARTENET, L'autonomie constitutionnelle des cantons, 1999, S. 359 ff.).Die Wahl von Kantonsparlamenten nach dem Majorzsystem wird in der Literatur jedoch verschiedentlich kritisiert (KÖLZ, a.a.O., S. 37; PIERRE TSCHANNEN, Stimmrecht und politische Verständigung [nachfolgend.: Stimmrecht], 1965, S. 500 Rz. 751; derselbe, Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft [nachfolgend: Staatsrecht],3. Aufl. 2011, S. 685 Rz. 56a; ANDREAS AUER, Die neue Verfassung des Kantons Graubünden im Rechtsvergleich, in: Kommentar zur Verfassung des Kantons Graubünden, Bänziger/Mengiardi/Toller & Partner [Hrsg.], 2006, S. 9 f. Rz. 21 ff.;ANDREA TÖNDURY, Bundesstaatliche Einheit und kantonale Demokratie, 2004, S. 258 ff.; derselbe, Die "Proporzinitiative 2014" im Kanton Graubünden, Zeitschrift für Gesetzgebung und Rechtsprechung in Graubünden [ZGRG]2012 S. 68 ff.; BUNDI CALDELARI/RATHGEB, Kritische Bemerkungen zur Gewährleistung der Bündner Kantonsverfassung, ZGRG 2004 S. 92 ff.). Die Kritik berücksichtigt, dass das Mehrheitswahlverfahren nicht grundsätzlich als undemokratisch bezeichnet werden kann. Sie hält das Majorzverfahren jedoch für verfassungswidrig, weil die Stimmen der Wählenden, die in der Minderheit sind, bei der Mandatsverteilung nicht berücksichtigt werden, was sowohl die Wahlrechtsgleichheit als auch die Wahlfreiheit beeinträchtige.
7.2 In der Botschaft vom 5. März 2004 zur Gewährleistung der Verfassung des Kantons Graubünden (BBl 2004 1107 ff.) berücksichtigte der Bundesrat die in der Lehre geäusserte Kritik am Majorzwahlsystem bei kantonalen Parlamentswahlen. Das Mehrheitswahlverfahren führe zu einer Nichtberücksichtigung sehr grosser Teile der Wählerschaft und zu einer schlechten Verwirklichung des Repräsentationsgedankens, obwohl Letzterer gerade für die Wahl des Parlaments oberste Richtlinie sein sollte. Nach PIERRE TSCHANNEN (Stimmrecht, a.a.O., S. 500 Rz. 751) sollte in die Verfassungsauslegung einfliessen, dass sich der Proporz längst als landesweiter Demokratiestandard etabliert habe und nach allgemeiner Auffassung nunmehr darstelle, was die verfassungsrechtlich gebotenen republikanischen Formen vom kantonalen Wahlrecht forderten. Zusammenfassend hielt der Bundesrat in der genannten Botschaft fest, dass die Festlegung des Majorzsystems für kantonale Wahlen zwar als bundesrechtlich zulässig erachtet, in der Literatur aber auch kritisiert wird, und in BGE 140 I 394 S. 400dieser Frage vereinzelt auch eine Praxisänderung verlangt wird. Insofern sei die Verfassungsmässigkeit des Majorzsystems für Parlamentswahlen als rechtlich zweifelhaft einzustufen. Bisher sei kantonalen Verfassungsbestimmungen, die das Mehrheitsverfahren für Parlamentswahlen vorsahen, immer vorbehaltlos die Gewährleistung erteilt worden. Eine Änderung dieser Praxis sollte aus Gründen von Treu und Glauben nicht ohne Ankündigung erfolgen. Vor diesem Hintergrund schlug er vor, die Gewährleistung für Art. 27 Abs. 2 der Verfassung des Kantons Graubünden zu erteilen. Art. 51 Abs. 1 BV, der von den Kantonen eine demokratische Verfassung verlange, sei damit eingehalten.
7.3 Die erwähnten Ausführungen des Bundesrats stiessen auf den deutlichen Widerspruch der Staatspolitischen Kommission des Ständerats, die in einem Bericht vom 24. Mai 2004 die Verfassungsmässigkeit von Majorzwahlen bejahte (BBl 2004 3635 ff.). Sie führt darin aus, das Majorzwahlsystem sei nicht "undemokratisch" im Sinne von Art. 51 Abs. 1 BV. Dieses Wahlsystem finde nicht nur weltweit in zahlreichen unbestritten als "demokratisch" geltenden Staaten, sondern auch in der Schweiz auf Bundesebene Anwendung (Art. 47- 51 des Bundesgesetzes vom 17. Dezember 1976 über die politischen Rechte [BPR; SR 161.1]). Die Mitglieder des Ständerats würden in allen Kantonen mit einer A

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