Bundesgericht Tribunal fédéral Tribunale federale Tribunal federal 5A_576/2018 Urteil vom 31. Juli 2018 II. zivilrechtliche Abteilung Besetzung Bundesrichter von Werdt, Präsident, Bundesrichter Marazzi, Schöbi, Gerichtsschreiber Möckli. Verfahrensbeteiligte A.________, vertreten durch Rechtsanwalt Adrian Dumitrescu, Beschwerdeführer, gegen B.________, vertreten durch Rechtsanwältin Patricia Cerejo, Beschwerdegegnerin, C.________, vertreten durch Rechtsanwalt Dominik Rothacher. Gegenstand Rückführung eines Kindes, Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau, Kammer für Kindes- und Erwachsenenschutz, vom 21. Juni 2018 (XKL.2018.2). Sachverhalt: A. B.________ und A.________ sind die unverheirateten Eltern der 2012 geborenen C.________ und leben seit Dezember 2015 getrennt. Mit Vereinbarung vom 24. Oktober 2016 erklärten die Eltern, dass sie die gemeinsame elterliche Sorge über C.________ ausüben, diese unter der Obhut der Mutter steht und dem Vater ein regelmässiges Besuchs- und Ferienrecht zukommt. In Ausübung des Ferienrechts und gestützt auf eine entsprechende Reisevollmacht der Mutter vom 9. März 2017 verbrachte C.________ für die Zeit vom 10. März bis 23. April 2017 Ferien beim Vater in der Schweiz. Anschliessend gab dieser die Tochter nicht wie vereinbart zurück, sondern behielt sie in der Schweiz zurück. B. Am 23. April 2018 (Eingang am 24. April 2018) stellte die Mutter beim Obergericht des Kantons Aargau ein Gesuch um Rückführung von C.________ nach Portugal. Nach Bestellung eines Kindesvertreters und Durchführung einer Mediation sowie der Hauptverhandlung ordnete das Obergericht mit Entscheid vom 21. Juni 2018 die Rückführung von C.________ nach Portugal an, wobei es dem Vater eine Frist bis 31. Juli 2018 zur strafbewehrten Rückgabe des Kindes setzte und für den Unterlassungsfall die Modalitäten für einen behördlichen Vollzug der Rückführung regelte. C. Gegen diesen Entscheid hat der Vater am 9. Juli 2018 eine Beschwerde in Zivilsachen erhoben mit dem Begehren um dessen Aufhebung und Abweisung des Rückführungsgesuches. Ferner wurde die (superprovisorische) Erteilung der aufschiebenden Wirkung verlangt, welche nach Eingang der Stellungnahmen des Kindesvertreters, der Beschwerdegegnerin und des Obergerichts mit Verfügung vom 23. Juli 2018 erteilt wurde. Mit Vernehmlassungen vom 12. bzw. 20. Juli 2018 schlossen das Obergericht und die Beschwerdegegnerin auf Abweisung der Beschwerde (der Kindesvertreter hatte seine Eingabe auf die Frage der aufschiebenden Wirkung beschränkt). Dem Beschwerdeführer wurde eine Replikfrist gesetzt und er hat sich nicht mehr geäussert. Erwägungen: 1. Bei Rückführungsentscheiden nach dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ, SR 0.211.230.02) geht es um die Regelung der Rechtshilfe zwischen den Vertragsstaaten (BGE 120 II 222 E. 2b S. 224), die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Respektierung und Durchsetzung ausländischen Zivilrechts steht (Art. 72 Abs. 2 lit. b Ziff. 1 BGG; BGE 133 III 584). Gegen den Entscheid des Obergerichtes des Kantons Aargau, welches als einzige kantonale Instanz entschieden hat (Art. 7 Abs. 1 des Bundesgesetzes über internationale Kindesentführung und die Haager Übereinkommen zum Schutz von Kindern und Erwachsenen, BG-KKE, SR 211.222.32), steht die Beschwerde in Zivilsachen offen. Mit ihr kann insbesondere die Verletzung von Bundesrecht (Art. 95 lit. a BGG) und von Völkerrecht (Art. 95 lit. b BGG) gerügt werden, wozu als Staatsvertrag auch das HKÜ gehört. Demgegenüber ist das Bundesgericht grundsätzlich an die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz gebunden (Art. 105 Abs. 1 BGG). Diesbezüglich kann einzig eine offensichtlich unrichtige, d.h. willkürliche Sachverhaltsfeststellung gerügt werden, wofür das strenge Rügeprinzip zum Tragen kommt und appellatorische Ausführungen ungenügend sind (Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 140 III 264 E. 2.3 S. 266; 143 I 310 E. 2.2 S. 313). 2. Zwischen den Parteien ist unbestritten, dass das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Portugal hatte und den Eltern im Zeitpunkt des Zurückhaltens in der Schweiz aufgrund der vor dem Jugend- und Familiengericht U.________ (Portugal) geschlossenen Parteivereinbarung vom 24. Oktober 2016 ein gemeinsames Sorgerecht und der Mutter überdies das Obhutsrecht zustand, so dass das Zurückhalten des Kindes in der Schweiz widerrechtlich im Sinn von Art. 3 lit. a und Art. 5 lit. a HKÜ war. Kernthemen des kantonalen Rückführungs- sowie des vorliegenden Beschwerdeverfahrens bilden die Frage der mütterlichen Zustimmung im Sinn von Art. 13 Abs. 1 lit. a HKÜ (dazu E. 3), die Frage der Einhaltung der Jahresfrist im Sinn von Art. 12 Abs. 1 und 2 HKÜ (dazu E. 4) und ferner die Frage der schwerwiegenden Gefahr im Sinn von Art. 13 Abs. 2 lit. b HKÜ (dazu E. 5). Schliesslich wird kurz das Einleben des Kindes im Sinn von Art. 12 Abs. 2 HKÜ thematisiert, was freilich voraussetzt, dass die Jahresfrist nicht eingehalten ist (dazu E. 4.4). 3. Das Rückführungsgericht ist nicht zur Rückgabe des Kindes verpflichtet, wenn die Person, die sich der Rückführung des Kindes widersetzt, nachweist, dass die Person, der die Sorge für das Kind zustand, das Sorgerecht zur Zeit des Zurückhaltens tatsächlich nicht ausgeübt, dem Zurückhalten zugestimmt oder dieses nachträglich genehmigt hat (Art. 13 Abs. 1 lit. a HKÜ). 3.1. Art. 13 Abs. 1 HKÜ auferlegt die Beweislast für Umstände, welche der Rückführung entgegenstehen, derjenigen Person, die sich der Rückgabe des Kindes widersetzt (vgl. Urteile 5A_446/2007 vom 12. September 2007 E. 3; 5A_436/2010 vom 8. Juli 2010 E. 3.1; 5A_840/2011 vom 13. Januar 2012 E. 3.2; 5A_822/2013 vom 28. November 2013 E. 3.3), vorliegend also dem Beschwerdeführer; daran ändert die Untersuchungsmaxime nichts (vgl. Urteile 2C_661/2015 vom 12. November 2015 E. 2.3; 5A_59/2016 vom 1. Juni 2016 E. 4.4). Die betreffenden Umstände sind anhand substanziiert vorgetragener Anhaltspunkte objektiv glaubhaft zu machen (Urteile 5P.367/2005 vom 15. November 2005 E. 7.1; 5P.380/2006 vom 17. November 2006 E. 3.2; 5A_520/2010 vom 31. August 2010 E. 3; 5A_537/2012 vom 20. September 2012 E. 5). Mit Bezug auf die Zustimmung bzw. Genehmigung gilt ein strenger Beweismassstab; der Wille des zustimmenden bzw. genehmigenden Sorgerechtsinhabers muss sich klar manifestiert haben, wobei er sich aus expliziten mündlichen oder schriftlichen Äusserungen wie auch aus den Umständen ergeben kann (vgl. Urteile 5A_446/2007 vom 12. September 2007 E. 3; 5A_105/2009 vom 16. April 2009 E. 3; 5A_436/2010 vom 8. Juli 2010 E. 3.1; 5A_257/2011 vom 25. Mai 2011 E. 3; 5A_822/2013 vom 28. November 2013 E. 3.3). 3.2. Wie im kantonalen Verfahren macht der Beschwerdeführer geltend, die Mutter habe sich nicht aktiv um die Rückkehr von C.________ gekümmert. Sie habe weder durch Brief oder Mail eine Rückgabe des Kindes verlangt noch sei dies aus dem aktenkundigen gesamten Whatsapp-Verkehr ersichtlich. Unbeachtlich sei sodann die Behauptung der Mutter, sie habe die Rückgabe telefonisch verlangt. Vielmehr habe sie die aktuelle Lebensführung akzeptiert und damit das Verbleiben von C.________ in der Schweiz genehmigt, was sich insbesondere in der Abmeldung aus dem portugiesischen Kindergarten bereits im Mai 2017 zeige. Demgegenüber bringt die Beschwerdegegnerin vor, sie habe den Beschwerdeführer telefonisch mehrmals zur Rückgabe des Kindes aufgefordert, soweit dieser Anrufe überhaupt entgegengenommen habe. Sodann habe sie ihn auch per Whatsapp mehrmals dazu aufgefordert, was sie aber nicht nachweisen könne, weil ihr Handy im Sommer 2017 kaputt gegangen sei und sich die Nachrichten nicht mehr wiederherstellen liessen. Sodann bestreitet sie energisch, C.________ aus dem Kindergarten abgemeldet zu haben. 3.3. Gemäss den obergerichtlichen Feststellungen hielt die portugiesische Kindertagesstätte mit der Erklärung vom 2. Mai 2018 einzig fest, dass C.________ von Februar 2014 bis Juli 2017 (recte: März 2017) die Institution besucht habe und für das Schuljahr 2017/2018 keine Immatrikulation erfolgt sei; über die Motive für die Abmeldung enthalte die Erklärung keine Aussage. Weiter hat das Obergericht festgestellt, dass die Mutter schon am 31. Mai 2017 das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gestellt und am 5. Juni 2017 bei der Zentralbehörde in Portugal den Antrag auf Rückführung eingereicht habe. Die väterlicherseits eingereichten Whatsapp-Protokolle interpretierte das Obergericht dahingehend, dass die Mutter weiter an der elterlichen Beziehung festhalten wollte und auf eine Wiedervereinigung hoffte. Schliesslich hat das Obergericht darauf verwiesen, dass der Vater zur Absicherung für die Ferien im März/April 2017 vom Anwalt eine schriftliche und beglaubigte Vereinbarung wollte, um sich nicht dem Entführungsvorwurf auszusetzen. Diese Vorkehr sowie die Tatsache, dass in der Vereinbarung nicht von einer Zustimmung zum Verbleib im Anschluss an den Ferienaufenthalt die Rede sei, interpretierte das Obergericht dahingehend, dass eine Zustimmung im Sinn von Art. 13 Abs. 1 lit. a HKÜ wenig glaubhaft und jedenfalls insgesamt nicht nachgewiesen erscheine. 3.4. Die äusseren Tatsachen als solche werden vom Beschwerdeführer nicht bestritten. Er wirft dem Obergericht allerdings eine einseitige Beweiswürdigung vor und kritisiert auch, dass D.________ (seine neue Lebenspartnerin) nicht einvernommen worden sei. All dies wird indes in rein appellatorischer Weise vorgetragen (vgl. Beschwerde, Rz. 50 ff.), was nach dem in E. 1 Gesagten nicht genügt; mangels substanziierter Willkürrügen kann darauf nicht eingetreten werden. In Bezug auf die anbegehrte Beweisabnahme sei der Vollständigkeit halber ergänzt, dass die Zeugenaussage von D.________ ohnehin in erster Linie zum Einleben des Kindes in der Schweiz beantragt war, was nicht Prüfungsgegenstand bildet (vgl. E. 4.4). 3.5. Als Novum bringt der Beschwerdeführer sodann die Kopie einer auf Deutsch verfassten und auf den 29. März 2017 / 5. April 2017 datierten angeblichen Elternvereinbarung vor, gemäss welcher C.________ per sofort beim Vater in der Schweiz wohnen und er auch über das alleinige Sorgerecht verfügen soll. 3.5.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, dabei handle es sich ganz klar um eine ausdrückliche schriftliche Zustimmung der Mutter zum definitiven Verbleib der Tochter in der Schweiz. Das Novum sei zuzulassen, weil er sich im Rahmen der ganzen Aufregung rund um das Rückführungsverfahren gar nicht mehr an diese Vereinbarung habe erinnern können und er erst wieder darauf aufmerksam geworden sei, als er mit Schreiben vom 22. Juni 2018 - also nach dem am 21. Juni 2018 erfolgten Rückführungsentscheid - von der Polizei aufgrund der Strafanzeige wegen Urkundenfälschung zur Befragung vorgeladen worden sei. Hintergrund der Vereinbarung sei gewesen, dass ihm die Stadtverwaltung V.________ mitgeteilt habe, er müsse für die Anmeldung von C.________ eine Einverständniserklärung der Mutter vorlegen. Die Beschwerdeführerin macht geltend, sie habe von dieser angeblichen Vereinbarung zum ersten Mal gehört, als sie beim Migrationsamt des Kantons Aargau um Akteneinsicht zum Aufenthaltsstatus von C.________ ersucht habe. Sie sei schockiert gewesen über das Dokument und habe daraufhin eine Strafanzeige wegen Urkundenfälschung eingereicht. 3.5.2. Das Bundesgericht ist an die Sachverhaltsfeststellungen der letzten kantonalen Instanz gebunden (Art. 105 Abs. 1 BGG). Entsprechend gilt im bundesgerichtlichen Verfahren grundsätzlich ein Novenverbot. Unechte Noven sind ausnahmsweise zulässig, nämlich wenn erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gegeben hat (Art. 99 Abs. 1 BGG). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die angebliche Zustimmung der Mutter zu einem Verbleib des Kindes in der Schweiz wurde im Rückführungsverfahren von Anfang an behauptet; für den Vater hätte Anlass bestanden, ein derart zentrales Dokument von Anfang an in das kantonale Ver