B u n d e s v e rw a l t u ng s g e r i ch t
T r i b u n a l ad m i n i s t r a t i f f éd é r a l
T r i b u n a l e am m in i s t r a t i vo f e d e r a l e
T r i b u n a l ad m i n i s t r a t i v fe d e r a l
Abteilung I
A-3505/2014
Ur t e i l vom 8 . Ap r i l 2 0 1 5
Besetzung
Richterin Salome Zimmermann (Vorsitz),
Richter Jürg Steiger, Richter Pascal Mollard,
Gerichtsschreiberin Kathrin Abegglen Zogg.
Parteien
A._______, ..., (Deutschland),
vertreten durch (…), Rechtsanwalt, (Schweiz)
Beschwerdeführer,
gegen
Oberzolldirektion (OZD),
Hauptabteilung Recht und Abgaben,
Monbijoustrasse 40, 3003 Bern,
Vorinstanz.
Gegenstand
Nachforderung von Zollabgaben, Einfuhrsteuer
und Automobilsteuer.
A-3505/2014
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Sachverhalt:
A.
A.a Am Donnerstag, 28. März 2013 kurz vor 23.00 Uhr reiste A._______,
deutscher Staatsangehöriger, mit dem Personenwagen (Marke) (Kontroll-
schild …) von Deutschland kommend über den unbewachten Grenzüber-
gang (…) in die Schweiz ein. Er beabsichtigte zusammen mit seiner Ehe-
frau und den zwei Söhnen, die im Fahrzeug mitfuhren, in einem Restaurant
einzukehren. In (…) unterzog die schweizerische Grenzwache A._______
einer Zollkontrolle. Sie stellte fest, dass sich A._______, der im Besitz einer
Niederlassungsbewilligung C ist, beruflich öfters in der Schweiz aufhält.
A.b Im "Fragebogen betreffend Veranlagung eines privaten Beförderungs-
mittels; Wohnsitzabklärung" gab A._______ u.a. an, sich seit 19xx auf-
grund der Arbeitsannahme in der Schweiz aufzuhalten, wobei er beabsich-
tige, auf Dauer in der Schweiz zu bleiben. Hier pflege er persönliche Be-
ziehungen zu seiner Partnerin und wohne im eigenen Haus. In Deutsch-
land verfüge er ebenfalls über ein Haus. Mindestens/höchstens einmal pro
Monat halte er sich dort auf bzw. kehre er dorthin zurück. Im Ausland pflege
er persönliche Beziehungen zu seinen Geschwistern, die er mindes-
tens/höchstens einmal pro Jahr besuche. Das Fahrzeug sei das Firmen-
fahrzeug seiner deutschen Arbeitgeberin. Erstmals sei er am 24. März
2013 mit dem Fahrzeug in die Schweiz eingereist. Bei Verlassen der
Schweiz werde er das Fahrzeug mitnehmen.
B.
Mit Schreiben vom 22. April 2013 stellte das Zollinspektorat (…) A._______
in Aussicht, auf dem Fahrzeug (Marke, Kennzeichen) Einfuhrabgaben
(Zoll, Automobilsteuer und Mehrwertsteuer) zuzüglich der Kosten für den
Prüfbericht im Gesamtbetrag von Fr. 8'718.30 zu erheben. Zur Begründung
führte das Zollinspektorat an, dass sich der Wohnsitz von A._______ in der
Schweiz befinde und er daher nicht berechtigt sei, ein unverzolltes Fahr-
zeug ohne vorgängige Zollbewilligung in der Schweiz zu benutzen.
C.
Mit Nachforderungsverfügung vom 4. Juni 2013 verpflichtete die Zollkreis-
direktion Schaffhausen A._______ den Betrag von Fr. 8'718.30 zu bezah-
len.
D.
Eine gegen diese Nachforderungsverfügung erhobene Beschwerde hiess
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die Oberzolldirektion (OZD) mit Entscheid vom 22. Mai 2014 in dem Sinne
teilweise gut, als sie den Abgabenbetrag neu auf Fr. 4'731.25 herabsetzte.
E.
Dagegen lässt A._______ (nachfolgend: Beschwerdeführer) mit Eingabe
vom 24. Juni 2014 Beschwerde ans Bundesverwaltungsgericht erheben.
Er beantragt, der Beschwerdeentscheid der OZD vom 22. Mai 2014 und
die (durch den Beschwerdeentscheid reduzierte) Abgabenverfügung der
Zollkreisdirektion (…) vom 4. Juni 2013 seien ersatzlos aufzuheben. Von
der Nachforderung von Zollabgaben, der Mehrwertsteuer und der Automo-
bilsteuer für das Fahrzeug (Marke) mit deutschem Kontrollschild (…) sei
abzusehen. Das Verfahren sei einzustellen; eventuell sei dem Beschwer-
deführer zu gestatten, nachträglich eine Zollbewilligung (Formular 15.30)
zur Nutzung eines unverzollten Fahrzeuges in der Schweiz für den Perso-
nenwagen (Marke) mit dem deutschen Kontrollschild (…) einzuholen; alles
unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Beschwerdegeg-
nerin für das Beschwerdeverfahren vor der Oberzolldirektion und vor dem
Bundesverwaltungsgericht. Zur Begründung bringt der Beschwerdeführer
im Wesentlichen vor, sein Wohnsitz befinde sich in Deutschland.
F.
In ihrer Vernehmlassung vom 6. August 2014 schliesst die OZD im Haupt-
begehren auf kostenfällige Abweisung der Beschwerde. Eventualiter, d.h.
falls die Beschwerde gutgeheissen werde, seien dem Beschwerdeführer
die Verfahrenskosten aufzuerlegen.
G.
Mit Eingaben vom 26. August 2014, 29. August 2014 und 12. September
2014 liess der Beschwerdeführer dem Bundesverwaltungsgericht unaufge-
fordert weitere Beweismittel einreichen.
H.
Mit Verfügung vom 28. November 2014 forderte die Instruktionsrichterin
den Beschwerdeführer auf, weitere teilweise genau bezeichnete Unterla-
gen einzureichen, welche Aufschluss über seinen Lebensmittelpunkt am
28. März 2013 geben. Dieser Aufforderung kam der Beschwerdeführer mit
Eingabe vom 19. Dezember 2014 nach.
I.
Im Rahmen ihrer Stellungnahme vom 16. Januar 2015 zu den eingereich-
ten Beweismitteln hält die Vorinstanz sinngemäss an ihren Anträgen fest.
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Auf die Eingaben der Parteien wird – soweit entscheidwesentlich – im Rah-
men der Erwägungen näher eingegangen.
Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Das Bundesverwaltungsgericht beurteilt Beschwerden gegen Verfü-
gungen nach Art. 5 VwVG (Art. 31 VGG). Soweit das VGG nichts anderes
bestimmt, richtet sich das Verfahren nach den Vorschriften des VwVG (Art.
37 VGG).
1.2 Der Beschwerdeführer rügt einen Beschwerdeentscheid der OZD be-
treffend Nachforderung von Zollabgaben, Einfuhr- und Automobilsteuern.
Das Bundesverwaltungsgericht ist zur Beurteilung dieser Beschwerde
sachlich und funktionell zuständig (Art. 32 VGG e contrario sowie Art. 31
i.V.m. Art. 33 Bst. d VGG). Der Beschwerdeführer ist zur Beschwerdefüh-
rung berechtigt (Art. 48 VwVG). Er hat die Beschwerde frist- und formge-
recht eingereicht (Art. 50 und 52 VwVG) und den Kostenvorschuss recht-
zeitig bezahlt (Art. 63 Abs. 4 VwVG). Auf die Beschwerde ist – unter Vor-
behalt der Einschränkung gemäss E. 1.3 – einzutreten.
1.3 Anfechtungsobjekt im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht
bildet ausschliesslich der vorinstanzliche Entscheid, vorliegend der Ent-
scheid der OZD vom 22. Mai 2014. Dieser ersetzt aufgrund des im verwal-
tungsinternen Instanzenzug geltenden Devolutiveffekts allfällige Ent-
scheide unterer Instanzen, so dass letztere nicht mehr anfechtbar sind
(vgl. BGE 134 II 142 E. 1.4; statt vieler: Urteil des BVGer A-5127/2013 vom
13. März 2014 E. 1.2). Auf den Antrag, die Verfügung der Zollkreisdirektion
(…) vom 4. Juni 2013 sei aufzuheben, ist deshalb nicht einzutreten.
1.4 Das Bundesverwaltungsgericht überprüft den angefochtenen Ent-
scheid grundsätzlich in vollem Umfang. Der Beschwerdeführer kann mit
der Beschwerde neben der Verletzung von Bundesrecht auch die unrich-
tige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes
sowie Unangemessenheit rügen (Art. 49 Bst. a bis c VwVG).
1.5
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1.5.1 Im Beschwerdeverfahren gilt die Untersuchungsmaxime. Danach hat
das Bundesverwaltungsgericht unter Mitwirkung der Verfahrensbeteiligten
den relevanten Sachverhalt von Amtes wegen festzustellen. Ausserdem
gilt der Grundsatz der Rechtsanwendung von Amtes wegen. Das Bundes-
verwaltungsgericht ist verpflichtet, auf den festgestellten Sachverhalt un-
abhängig von der Begründung der Begehren die richtige Rechtsnorm an-
zuwenden (Art. 62 Abs. 4 VwVG). Die Rechtsmittelinstanz ist jedoch nicht
gehalten, allen denkbaren Rechtsfehlern von sich aus auf den Grund zu
gehen. Für entsprechende Fehler müssen sich zumindest Anhaltspunkte
aus den Parteivorbringen oder den Akten ergeben (vgl. BGE 121 III 274 E.
2c, BGE 119 V 347 E. 1a; statt vieler: Urteil des BVGer A-5116/2011 vom
31. Juli 2013 E. 1.4).
1.5.2 Weiter gilt im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht der
Grundsatz der freien Beweiswürdigung (BGE 130 II 485 E. 3.2). Die Be-
weiswürdigung endet mit dem richterlichen Entscheid darüber, ob eine
rechtserhebliche Tatsache als erwiesen zu gelten hat oder nicht. Der Be-
weis ist geleistet, wenn das Gericht gestützt auf die freie Beweiswürdigung
zur Überzeugung gelangt ist, dass sich der rechtserhebliche Sachumstand
verwirklicht hat. Gelangt das Gericht nicht zu diesem Ergebnis, kommen
die Beweislastregeln zur Anwendung; es ist zu Ungunsten desjenigen zu
urteilen, der die Beweislast trägt. Die Abgabebehörde trägt die Beweislast
für Tatsachen, welche die Abgabepflicht als solche begründen oder die Ab-
gabeforderung erhöhen, das heisst für die abgabebegründenden
und -mehrenden Tatsachen. Demgegenüber ist der Abgabepflichtige für
die abgabeaufhebenden und -mindernden Tatsachen beweisbelastet, das
heisst für solche Tatsachen, welche Abgabebefreiung oder Abgabebegüns-
tigung bewirken (statt vieler: BGE 140 II 248 E. 3.5; Urteil des BVGer A-
828/2014 vom 21. Oktober 2014 E. 2.5).
1.6 Zur Bestimmung des anwendbaren materiellen Rechts sind gemäss
dem allgemeinen intertemporalrechtlichen Grundsatz in zeitlicher Hinsicht
diejenigen Rechtssätze relevant, die bei der Verwirklichung des zu Rechts-
folgen führenden Sachverhaltes in Geltung standen (BGE 119 Ib 103 E. 5;
BVGE 2007/25 E. 3.1).
Der zu beurteilende Sachverhalt hat sich Ende März 2013 verwirklicht. So-
mit finden das am 1. Mai 2007 in Kraft getretene Zollgesetz vom 18. März
2005 (ZG, SR 631.0) und die Zollverordnung vom 1. November 2006 (ZV,
SR 631.01), das seit dem 1. Januar 2010 geltende Mehrwertsteuergesetz
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vom 12. Juni 2009 (MWSTG, SR 641.20) sowie das Automobilsteuerge-
setz vom 21. Juni 1996 (AStG, SR 641.51) in der Fassung vom 1. Januar
2007 Anwendung.
2.
2.1 Waren, die ins schweizerische Zollgebiet verbracht werden, sind grund-
sätzlich zollpflichtig und nach dem ZG sowie nach dem Zolltarifgesetz vom
9. Oktober 1986 (ZTG, SR 632.10) zu veranlagen (Art. 7 ZG). Solche Ge-
genstände unterliegen zudem grundsätzlich der Einfuhrsteuer (Art. 50 ff.
MWSTG) und – sofern es sich um Automobile handelt – der Automobil-
steuer (Art. 22 Abs. 1 AStG). Vorbehalten bleiben Zoll- und Steuerbefreiun-
gen, die sich aus besonderen Bestimmungen von Gesetzen und Verord-
nungen oder Staatsverträgen ergeben (Art. 2 Abs. 1 und Art. 8 ff. ZG, Art.
1 Abs. 2 ZTG, Art. 53 MWSTG, Art. 7 und 12 Abs. 1 AStG), wie das hier
interessierende Zollverfahren der vorübergehenden Verwendung.
2.2
2.2.1 Gemäss Art. 1 Bst. a und Art. 2 des im Verhältnis Deutschland-
Schweiz anwendbaren Übereinkommens über die vorübergehende Ver-
wendung vom 26. Juni 1990 (SR 0.631.24, im Folgenden "Istanbul Über-
einkommen") dürfen bestimmte Waren – wozu auch Beförderungsmittel
gehören – frei von Eingangsabgaben für einen bestimmten Zweck vorüber-
gehend in ein Zollgebiet verbracht werden. Zu den Eingangsabgaben zäh-
len auch die auf den Einfuhren lastenden Steuern wie die Mehrwert- und
Automobilsteuer (vgl. Art. 1 Bst. b des Istanbul Übereinkommens, Urteil
des BGer 2A.514/2011 vom 29. Juli 2002 E. 2.1). Die Bestimmungen die-
ses Übereinkommens sind grundsätzlich direkt anwendbar und die Be-
troffenen können sich unmittelbar darauf berufen (statt vieler: Urteil des
BGer 2C_1049/2011 vom 18. Juli 2012 E. 2.3.1; Urteil des BVGer A-
7817/2010 vom 24. November 2011 E. 2.3.1). Gemäss Art. 17 des Istanbul
Übereinkommens setzt das Übereinkommen lediglich Mindesterleichterun-
gen fest, über welche die Vertragsparteien auch hinausgehen können.
2.2.2 Für die zoll- und steuerfreie Einfuhr eines Beförderungsmittels (z. B.
eines Strassenkraftfahrzeugs) für die vorübergehende Verwendung zum
eigenen Gebrauch ist nach Art. 5 Bst. b der Anlage C zum Istanbul Über-
einkommen erforderlich, dass das Fahrzeug in einem anderen als dem Ge-
biet der vorübergehenden Verwendung zugelassen ist und auf den Namen
einer Person zum Verkehr zugelassen ist, die ihren Sitz oder Wohnsitz aus-
serhalb des Gebietes der vorübergehenden Verwendung hat. Sodann
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muss das Fahrzeug von Personen mit Wohnsitz in diesem Gebiet (aus-
serhalb des schweizerischen Zollgebiets) eingeführt und verwendet wer-
den.
2.3 Für Personen mit Wohnsitz im Zollgebiet (hier: Schweiz), die ein im
Ausland immatrikuliertes Fahrzeug im Zollgebiet benutzen, sieht das Istan-
bul Übereinkommen keine Zollerleichterung vor. Für diesen Fall statuiert
jedoch das innerstaatliche Recht eine zusätzliche Erleichterung. So kann
gemäss Art. 35 Abs. 2 Bst. a ZV die Zollverwaltung Personen mit Wohnsitz
im Zollgebiet die vorübergehende Verwendung eines ausländischen Beför-
derungsmittels für den eigenen Gebrauch bewilligen. Vorausgesetzt ist,
dass diese Personen bei einer Person mit Sitz oder Wohnsitz ausserhalb
des Zollgebiets angestellt sind und das ihnen zur Verfügung gestellte aus-
ländische Beförderungsmittel ausschliesslich für grenzüberschreitende Be-
förderungen im dienstlichen Auftrag und für solche zwischen Wohnort und
ausländischem Arbeitsort benützen. Die erforderliche Bewilligung zur vo-
rübergehenden Verwendung eines ausländischen Beförderungsmittels
zum eigenen Gebrauch im Zollgebiet muss bei der ersten Einfuhr bei der
Zollverwaltung beantragt werden (Art. 164 Abs. 2 ZV; vgl. Urteil des BVGer
A-1374/2011 vom 5. Januar 2012 E. 2.4.1)
2.4 Nach dem Gesagten ist für die Frage der abgabenbefreiten Einfuhr ei-
nes Fahrzeugs gestützt auf das Istanbul Übereinkommen entscheidend,
wo sich der Wohnsitz derjenigen Person befindet, die das Fahrzeug in das
schweizerische Zollgebiet einführt. Weil das Istanbul Übereinkommen
keine entsprechende Begriffsdefinition enthält, ist der Wohnsitz im Prinzip
nach Art. 20 des Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht vom
18. Dezember 1978 (IPRG, SR 291) zu bestimmen (Urteil des BVGer
A-4425/2013 vom 9. September 2014 E. 4.1.1). Demgemäss hat eine na-
türliche Person in dem Staat Wohnsitz, in dem sie sich mit der Absicht dau-
ernden Verbleibens aufhält, wobei niemand an mehreren Orten zugleich
Wohnsitz haben kann (Art. 20 Abs. 1 Bst. a und 2 [erster Teilsatz] IPRG).
Diese Umschreibung des Wohnsitzes deckt sich mit der Wohnsitzdefinition
von Art. 23 Abs. 1 (erster Teilsatz) und 2 ZGB. Es kann daher zur Ausle-
gung des Wohnsitzbegriffs auf die zu A